Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
Vom Netzwerk:
Philippe, der meines Wissens kein ein geübter Fechter war. Doch auf dem Fechtboden wurde ich Zeuge eines Assauts ohne Brustschutz und Maske, eines Duells auf Leben und Tod. Für mich war es ein Wunder, dass beide bislang unverletzt waren. Keuchend umlauerten sie sich, Philippe mit Augen, die schwarz vor Hass waren, der Comte überlegen und abschätzig lächelnd. Die Florettspitzen wippten gefährlich in der Luft - Stahl, der Wünschelruten glich, einzig dafür geschaffen, Adern aufzuschlitzen und Blut fließen zu lassen.
    »Ich will kein Wort hören, Monsieur Petrus!«
    »Ja, kein Wort!« pflichtete Philippe ihm bei.
    »Einen Teufel werde ich …«
    »Schweigen Sie! Sie sind Gast in meinem Haus!«
    Was sollte ich tun?
    Hätte ich mich einmischen sollen? Zur nächstbesten Waffe greifen und mich ins Getümmel stürzen müssen?
    Ich kann mich freien und offenen Herzens entschuldigen. Comte de Carnoth hätte mich kurzerhand mit zwei, drei Hieben kampfunfähig gemacht und gleich im Anschluß Philippe über die Klinge springen lassen - ganz einfach, weil er die Instinkte des geborenen Kämpfers besaß und solche Sekunden der Verwirrung mit tödlicher Präzision für sich zu nutzen verstand. Anders war es um mein Gewissen bestellt. Einzig und allein ich hatte diese mörderischen Aktionen zu verantworten. Meine Eitelkeit oder Ignoranz, Philippe aufzuklären, würde in den nächsten Minuten mit Blut bezahlt werden. Denn den Comte musste ich freisprechen, selbst wenn er noch länger als ich um Marie-Thérèses Herkunft wusste: Er verteidigte allein seine Ehre. Philippe war der Angreifer. Ein Charakter wie Comte de Carnoth duldete keine derartigen Ausfälligkeiten – selbst wenn er wusste, dass er den Bruder seiner Verlobten vor der Klinge hatte. Mir sträubten sich die Haare vor Entsetzen. Philippe hatte nicht den Hauch einer Chance. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Der Comte ließ sich wie der wohlmeinende Lehrer von seinem Schüler zum Schein über den Fechtboden hetzen. Vor der Spiegelwand dann lieferte er ein paar elegante Paraden, die Philippe zwar nicht ernsthaft in Bedrängnis brachten, ihn jedoch Kondition kosteten.
    Der Schokoladentrinker. Teetrinker.
    Comte de Carnoth liebte Mokka.
    Der letzte Akt begann.
    Philippe, der spürte, wie seine Kräfte schwanden, begann unbeherrscht dreinzuschlagen. Der Comte parierte überlegen. Ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel: Laß nicht zu, Herr, dass er ihm in die Brust sticht! Mein Wunsch ging in Erfüllung. Vor der Spiegelwand nötigte der Comte Philippe eine so enge Mensur auf, dass dieser mit dem Rücken über die ganze Breite der Wand getrieben wurde. Die Schnalle von Philipps Weste kreischte über das Glas, sein geöltes Haar hinterließ einen stumpfen Film.
    »Kommt doch zur Vernunft!« schrie ich.
    »Niemals!« brüllte Philippe.
    In derselben Sekunde floß Blut. Der Comte touchierte Philipps linken Arm. Mir blieb das Herz stehen. Philippe brüllte, wankte. Schon in der nächsten Sekunde traf der Comte die Glocke von Philipps Fechtarm. Der ging in die Knie, rutschte am Glas der Spiegelwand herab, während das Blut den linken Ärmel seines Hemds binnen eines Augenblicks tiefrot färbte.
    Handele endlich! Es gebrach mir weder an Wille noch Kraft - doch als bewegten sich Comte und Philippe auf dem Fechtboden in einer Art magischen Pentagramm, dessen unsichtbare Bodenlinien ich nicht überschreiten konnte – ich vermochte nicht, mich zwischen beide zu werfen. Wie gebannt schaute ich auf die Kämpfenden, war gleichsam hypnotisiert von ihren Bewegungen vor der Spiegelwand. Hilflos klebte ich an jeder Parade, fasziniert und abgestoßen zugleich, ausgeliefert dem Sog dessen, was ich sah und hörte. Monströs klänge es, wenn ich sage, ich wollte von diesem Schauspiel nichts versäumen. Und doch, es ist wahr: Ich war ein Gefangener meines Geistes, meiner Angst, meiner Anteilnahme und Besorgnis.
    Die Ohnmacht des Hypnotiseurs, der Macht fremden bewegten Bildern zu entkommen. Meine Ohnmacht. Mein Versagen. Meine Schuld.
    Marie-Thérèse und Hippolyte stürzten herein.
    Es war wie eine Befreiung. Mein Geist durchbrach die Schranken des Pentagramms. Ich schnellte vor, aber es war zu spät, doch die Finte des Schicksals war, dass der Tod nicht die Leine Philippes aufgewickelt hatte, sondern die des Comte. Entgegen aller Regeln oder gar Vernunft entledigte sich Philippes seines Floretts, indem er es mit dem Handballen von sich stieß. Wie ein Speer flog es dem Comte an den Hals

Weitere Kostenlose Bücher