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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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überwunden geglaubten Tagen verwandelt. Das Prasseln des Kaminfeuers klang auf einmal wie höhnisches Kichern. Ich fühlte mich wie in kaltes Wasser gestoßen. Der Comte aber ließ sich nichts anmerken. Er hielt meinem Blick stand und machte dabei ein hochnäsiges Gesicht.
    Dann endlich ließ er ein belustigtes Lachen hören.
    »Glauben Sie mir kein Wort, Monsieur Petrus! Aber manchmal muss ich mir etwas einfallen lassen, um nicht in Ihren beunruhigend suggestiven Augen zu ersaufen! Beschließen wir den Abend daher mit etwas Bizarrem. Wir sind unter uns, und Sie können mit dieser Geschichte bestimmt umgehen. Also, vor ein paar Jahren verstarb eine Baronin. Ihr Nachlaß bestand unter anderem aus wertvollen Dingen wie Miniaturbüchern oder Perlenschmuck. Geheimnisvoll war das Mahagonikästchen, in dem neben einer Schnur mit fünf Taubeneiern aus poliertem Elfenbein eine Sammlung gleich aussehender, verkorkter Fläschchen aufbewahrt wurde. Jedes war mit einem Kosenamen beschriftet. Die Analyse des vertrockneten Inhalts - nun ja, Frau Baronin hatte offensichtlich Gefallen daran gefunden, den Samen ihrer Liebhaber zu sammeln.«
    Der Comte genehmigte sich den Rest seines Cognacs, worauf er sich erhob. Mir indes war flau geworden, doch nicht, weil ich mich ekelte. Auf eigentümliche Art, die ich mir selbst nur ungern einzugestehen bereit war, berührte mich diese Geschichte. Denn sie erinnerte mich an jemanden, der nichts Geringeres war als meine erste Liebe und Baronin dazu. Gerne hätte ich nachgefragt, aber der Comte hatte gewiß seine Gründe, sich nicht näher darüber auszulassen. Möglicherweise, dachte ich, ist es auch nur seine Eitelkeit, die Wahrheiten der alltäglichen Psychiatrie zu überbieten. Er tischt dir eine phantastische Geschichte auf, um dir damit seine aristokratische Überlegenheit zu demonstrieren.
    Andererseits, konnte man so etwas erfinden? Selbst als verkappter Libertin und Kenner der Schriften des Marquis de Sade?
    Ich murmelte, ob Farbe oder Samen, in beiden Fällen sähe ich dahinter den verquer sich äußernden Wunsch, geliebt zu werden. Interessiert schaute der Comte mich an und nickte. Ich wunderte mich, dass ich nicht ausgelacht wurde. Schließlich lag es nahe, zwischen Liebe und Sperma einen Zusammenhang zu sehen.
    »Wo ist im Kopf der Sitz der Liebe, Petrus? Ich weiß nur eins, direkt daneben lauert das Geschwisterkind, der Hass.«
    Beschwörend legte mir der Comte die Hände auf die Schultern. Sein Mund war zusammengekniffen und die Haut über seinem Schädel schien gespannt, als würde sie jeden Moment reißen. Maximilian Joseph de Carnoth – ein Aristokrat, der dünkelhaft bis zur Karikatur sein konnte, sich zuweilen aber auch überraschend leutselig gab. Er war charakterologisch-psychologisch gesprochen ein diphthongischer Typ, zwielautig und häufig sein eigener Kontrapunkt. Mit anderen Worten: Ich wurde nicht schlau aus ihm. Der Comte litt unter etwas, schleppte an einer Last, die sein aristokratisches Gehabe immer wieder zum Einsturz brachte.
    Liebe und Hass – einfache Worte, die gleichzeitig die maßlosesten Empfindungen des Menschen bezeichnen. Auch ich habe mich in ihnen versponnen, aber noch ist es nicht soweit, davon zu erzählen.
    Nach meiner Beurlaubung ereilte mich eine Traurigkeit, die den Glanz der zurückliegenden Ereignisse verblassen ließ. Weder Spaziergänge noch Theater- oder Opernbesuche lenkten mich ab, auch das Durchblättern von Journalen in den Lesekabinetten half nichts. Restaurantkritiken zu verfassen erschien mir nicht minder lächerlich wie das Betrachten eines Dioramas, und als ich einmal spät abends im Palais Royal die bunten Illuminationen und den Budenzauber betrachtete und dazu das Lachen und Gefeilsche der Kokotten hörte, begann ich stumm zu weinen. Ich schlich nach Hause und sackte ins Fauteuil. Beim Schein eines Kerzenleuchters stierte ich solange in den Trumeau, bis ich gleichsam selbst hypnotisiert in meinem traurigen Spiegelbild versank.
    Was dann geschah, war phantastisch.
    Ich trat durch den Spiegel in eine Art Korridor, in dem ich mich sogleich von dunklen Mächten bedroht fühlte. Diese dunklen Mächte lauerten zu beiden Seiten des Korridors, den ich langsam durchschritt. Ich begriff, ich durfte nur langsam gehen, sonst würden aus den schleierdünnen Wänden die Mächte ausbrechen und mich verschlingen. Aber ich sah auch ein Licht vor mir. Es wurde größer, aber damit leider nicht schöner, sondern nur unheimlicher: Es war

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