Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
Vom Netzwerk:
Zeitung das Gelübde verbreiten, welches sie in Notre Dame angesichts des Gnadenbildes der „einzigartigen und schönsten Jungfrau der Stadt“ getan habe: „Petrus Cocquéreau ist mein Retter. Ich gelobe, ihm bis zum letzten Atemhauch zu dienen, sollte er meiner bedürfen.“ Aus einsichtigen Gründen wurde der etwas anrüchige Wortlaut des Gelübdes schnell zum Stadtgespräch und die Formulierung „Sollte er meiner bedürfen“ erhielt wenige Wochen lang sogar den Rang geflügelter Worte.
    Um noch ein wenig länger dem Klatsch zu frönen, sei hinterher geschickt, dass Mademoiselle noch im Herbst desselben Jahres Paris verließ. Wie Kopernikus erwählte sie sich Wien für ihren Neubeginn. Verloren sich dessen Spuren gerüchteweise unter den Fittichen einer vermögenden Freimaurerwitwe, erlag La Belle Fontanons geläutertes Gemüt dem Liebeswerben eines ungarischen Grafen – was diesem allzu bald das Leben kostete. Ein schlesischer Erzmagnat nämlich behauptete öffentlich, La Belle Fontanon sei in Wahrheit nie gelähmt gewesen und ihre spektakuläre Heilung nichts weiter als die makabre Inszenierung schlechtesten Geschmacks. Der Graf fühlte sich beleidigt und schickte seine Sekundanten, das Pistolenduell gewann der Erzmagnat. Er war übrigens so galant, sich bei Mademoiselle zu entschuldigen. Sie reiste selbstverständlich zutiefst empört und verletzt ab – nach Riga, bekanntlich das Paris des Nordens. Von dort erhielt ich ein letztes Lebenszeichen von ihr: zum einen die Erneuerung des Gelübdes, zum anderen den Ratschlag, mich vor Neidern zu hüten und stattdessen Freunde zu gewinnen. Geschrieben war alles mit herzblutroter Tinte auf parfümiertes, hellblaues Papier.
    Ich nahm den Brief anläßlich eines neuerlichen Besuchs mit in die Rue de Bretagne und wurde entsprechend aufgeklärt:
    »Ein solchermaßen pompöser wie manierierte Briefkopf weist eindeutig auf den degoutanten Stand dieses sogenannten schlesischen Geldadels. Es ist das typische Signet derer von Neureich, mein lieber Monsieur Petrus. Aber auch eine La Belle Fontanon muss vorsorgen. Wenn Sie jetzt schon auf schlesische Minen setzen muss, nun, dann ist die eigene wohl endgültig ausgebeutet.«
    Es war an Allerseelen, als der Comte auf diese seine Art über schlesische Minen herzog, ein Tag mit wahrhaft scheußlichem Wetter. Draußen überzogen heftige Graupelschauer Straßen und Dächer binnen Minuten mit Matsch. In Comte de Carnoths Salon im ersten Stock dagegen war es so behaglich wie der Cognac mild. Wir saßen in einer Atmosphäre wahren Wohlseins, bei Kaminfeuer und Kerzen, ohne allen Ballast konventioneller Höflichkeiten. Ich fühlte mich wohl, dass ich in der Laune war zu schnurren wie eine Katze, wäre ich allein gewesen.
    Ja, der Comte hatte Geschmack! Die chinesischen Seidenteppiche harmonierten perfekt mit der Louis-Quinze-Möbelgarnitur, in deren Sesseln man mit übereinandergeschlagenen Beinen, lockerem Halstuch und verrutschter Weste wunderbar dem Cognac frönen konnte. Ich plauderte aus meiner Vergangenheit als reisender Arzt und schilderte ein paar amüsante Fälle aus meinem Berufsleben: zum Beispiel den Wahn eines Kammerdieners, der in der Ahnengalerie über Monate hinweg die Farbe von den Porträts gekratzt hatte.
    »Der Mann erlag der Vorstellung, dass, wenn er sich die Farbe einverleibt, er hinter die Gedanken des Porträtierten kommen würde.«
    »Wie? Er hat die Farbe gegessen?«
    »Ja. Er begann beim Gründer des Hauses, fing gewissermaßen an, von dessen Porträt zu naschen, und arbeitete sich bis zum jetzigen Stammhalter durch. Zuerst waren es nur winzige Splitter, zum Schluß, als er ertappt wurde, fingernagelgroße Farbplättchen vom Porträt seines Herren. ‚Ich will ihn verstehen lernen!‘ rief er ein ums andere Mal verzweifelt. ‚Wie soll ich sonst begreifen, was mein Herr wünscht!‘ Der Kammerdiener war alt und konnte nicht mit der Angst umgehen, verstoßen zu werden. Sein Herr hatte ihn einmal angeblafft, wenn er weiterhin so dumme Fragen stelle, könne er ihn nicht mehr brauchen.«
    »Kurios. Also haben auch Domestiken eine Seele?«
    Ungläubig wiegte der Comte seinen blanken Schädel und strich sich mit der Spitze des Zeigefingers über die Warze, die wie ein verrutschter und zu groß geratener Schönheitsfleck zwischen Nase und rechtem Auge glänzte. Ich verschluckte mich, hustete und muss so entsetzt geschaut haben, als habe sich der Comte vor meinen Augen plötzlich in einen Schinder aus längst

Weitere Kostenlose Bücher