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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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schließlich. Die Hälfte.
    »Aber auch für alles andere, Madame«, forderte ich sie auf. »Sie versprechen es? Ja?«
    Die Beschickerin nickte.
    Ich entfernte mich, wartete ab. Zwei Kunden kamen in den Genuß halbierter Preise, der dritte wurde Zeuge, wie die Beschickerin von ihrem Vater eine gelangt bekam.
    »Bist du verrückt geworden?«
    »Wie?«
    Die nächste Ohrfeige – aus der Traum.
    Die Beschickerin schüttelte sich, als würde es sie frösteln. Dann schlug sie sich entsetzt die Hand vor den Mund und spähte in die Menge. Als sie mich entdeckte, rief sie mir alle Schimpfwörter nach, die sie kannte. Ich tauchte erst einmal im Getümmel unter, aber nicht ohne meine Schlüsse zu ziehen. Im Gegensatz zu Madame Bonet, der Concierge und La Belle Fontanon rollten bei diesem Subjekt die Augäpfel nicht allzu weit nach oben. Konnte ich es wagen, erste Schlüsse zu ziehen? Waren Stellung und Bewegung der Augäpfel ein Indikator für die Suggestibilität? Stimmte die Gleichung: Wenig Augenweiß gleich unsuggestibel, viel, gleich hoch suggestibel? Was besagte es, wenn die Probanden im Verlauf der ersten hypnotischen Ansprache kurzzeitig schielten?
    Mein neues Opfer war ein gebeugtes Mütterchen, das am Käsestand den Daumen hingebungsvoll in einen Camembert bohrte, um dessen Reife zu erforschen. Das wütende Gesicht der Milchbäuerin interessierte sie genausowenig wie deren ungeduldiges Allez-allez-Gerufe. Zwar hätte die Bäuerin andere Kundinnen bedienen können, aber so ein bohrender Altweiber-Daumen erweckte ihre Aufmerksamkeit.
    »Mütterchen!« rief ich. »Schauen Sie mich an!« Das Mütterchen blickte neugierig auf und blieb wie eine Fliege, die sich auf einen Sonnentau gesetzt hat, an meinem Blick kleben. »Mütterchen! Das macht man doch nicht, oder?«
    »Was denn?«
    »Haben Sie das schon vergessen?« Dem Mütterchen drehte es die Augen nach oben und sie begann zu schielen, als hätte sie eine Flasche Absinth im Blut. »Mütterchen«, flüsterte ich, »warum drücken Sie auf einem Ochsenbein herum, wo Sie doch einen Camembert prüfen wollen. Verlangen Sie einen Camembert. Dies hier sind doch alles Ochsenbeine.«
    »Ist das Ihre Mutter, Monsieur?« fragte die Bäuerin.
    »Nein, aber ich dachte, ich könnte helfen …«
    »Du, Töchterchen, hast du keinen Camembert? Das hier sind doch alles Ochsenbeine.«
    »Erstens bin ich nicht dein Töchterchen, und wenn du meinen Käse nicht gleich in Frieden lässt mit deinem Gebohre, dann …«
    »Das ist doch kein Camembert! Siehst du das nicht, Töchterchen? Hier, das ist Fleisch! Hier, der Knochen! Und da, das Mark!«
    Der Dialog erregte die Aufmerksamkeit anderer. Spöttisch wurde behauptet, die Alte habe Recht. Der Camembert sei hart und zäh wie ein altes Ochsenbein. Die Alte fühlte sich bestätigt und giftete los, es sei ein Skandal, dass eine Milchbäuerin Ochsenbeine verkaufe, aber keinen Käse. Der Trubel nahm zu. Die Alte drückte ihren Daumen auf die Ochsenbein-Camemberts, als wolle sie ihnen ein Siegel verpassen. Ich beobachtete die Szene mit zunehmend gemischten Gefühlen. Die Alte bewegte sich ruhig und stolz und machte ein Gesicht, als wolle sie Aristokraten lehren, wie man wirklich blasiert guckt. Hoch suggestibel, wie sie war, galt es nun, sie gefahrlos aus ihrer tiefen Trance herauszuholen.
    Während die Käsebäuerin und ihre Spötter sich verbale Schlachten lieferten, legte ich das Geld für zwei Camemberts hin. Dann schrie ich die Alte an, sie solle gefälligst noch einmal richtig hingucken. Wo denn die Ochsenbeine hingeflogen seien? Etwa unter ihren Rock? Die Alte wollte mich schon ohrfeigen, da stockte sie mitten in der Bewegung.
    »Keine Ochsenbeine. Alles Camemberts«, sagte ich und sah der Alten tief in die Augen. »Aber sie sind nicht reif. Kommen Sie mit mir, dann zeige ich Ihnen, wo es weichere gibt.«
    Durch das Geld beruhigt, tippte sich die Käsebäuerin an die Stirn, wickelte zwei Käse ein und warf sie der Alten in den Korb. Wie der Sohn, der seine alte Mama am Arm führt, schritt ich mit ihr durch die johlende Menge.
    »Wachen Sie auf, wenn Sie den ersten Fisch riechen«, befahl ich. »Dann haben Sie alles vergessen, außer, dass Sie zwei Camemberts gekauft haben.«

6.
    Die Zeit war abgelaufen. Meine Beurlaubung war zu Ende, ich musste wieder ins Hospitz zu Charenton. Da nun die Pariser Öffentlichkeit die vergeßlichste der Welt ist, vor allem aber La Belle Fontanon längst nicht mehr in der Stadt weilte, hatte Roger Collard in der

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