Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
vor, wie ich in allen möglichen Hotels Säle mit hypnotischen Schaustücken füllte, dann wieder sah ich mich als Psychiater mit dem gewissen Etwas, kurz, wurde in Gedanken zum legendären Petrus! Ich würde in den vornehmen Häusern antichambrieren und dort die Neurosen des Wohlstands ins Somnabule weg soufflieren. Geld spielte keine Rolle mehr, zwangsläufig würde ich hochmütig werden und meine sogenannten Patienten, die wohl zu achtzig Prozent Patientinnen wären, verachten.
Zwei Beispiele schaffen vielleicht etwas mehr Klarheit: Also, Patientin F., Landadel, dreisprachig, der Inbegriff von Halbbildung. Sie redet einen dumm, derart, dass einem irgendwann das Lächeln auf dem Gesicht gefriert. Zum Glück liebt sie Parfums und Brüsseler Spitzen, selbstbewusstes Kokettieren und spielt mit dem Gedanken, sich endlich das vom Stallburschen zu holen, was der Ehegatte lieber den Kurtisanen zukommen lässt. Ansonsten ist sie gleichgültig gegenüber dem wirklichen Leben, hat daher große Angst vor Bettlern und Invaliden. Ihr Problem: Sie ist zwanghafte Pfeifenraucherin, was sie aber nicht verträgt und darum all das schöne Essen, was sie allein in sich schlingt, wieder von sich gibt.
Patientin K. ist bürgerlich und führt eine Musterehe. Nur, sie langweilt sich und kann nicht anders, als ihr Personal anzubrüllen. Es wechselt ständig, Madame K. ist darüber sehr verzweifelt. Sie nascht gerne Rahm, und die Bouillon muss so fett sein, dass die Oberfläche schillert. Tagelang kann sie sich auf der Chaiselongue wälzen und Liebesromane lesen. Dann treibt sie plötzlich das heftige Verlangen, mit einer Pistole auf Greise zu schießen. Sie träumt davon, wie Kleopatra in Stutenmilch zu baden und dann ihre erste Liebe zu empfangen, einen Major von ungeheurer Bärenkraft und Gutmütigkeit. Ihr Problem: Der Major ist erstens ihr Bruder und zweitens einem Regimentskameraden zugetan.
Je skurriler die Fälle waren, die ich in Gedanken durchspielte, um so eifriger kehrte die Beklemmung zurück. Der Giftstein wurde schwerer. Ich ahnte, was der Grund war. Doch erst, als ich ein halbwüchsiges taubes Mädchen vor einer rasenden Droschke rettete und das Zittern ihres Leibes mit meinen Blicken bändigte, wurden die Schleusen zu meinem Ich so weit, dass ich erkannte: Wenn du jetzt nichts unternimmst, wirst du in der Flut deiner selbstbetrügerischen Aktivitäten der letzten zwölf Jahre ertrinken. Das Schreiben eines Restaurant-Führers und der Dienst an den Irren werden dich nicht mehr schützen.
Mit einem Wort: Ich verschloss meine Seele nicht mehr vor den Fanfaren an Bildern und Gefühlen, welche die Erinnerung an Juliette provozierte. Es ging nicht mehr anders, ich musste mich ihrer und damit meiner Geschichte stellen, alles, was darin vorkommt, benennen, zu allem den Namen finden und die Wahrheit zuzulassen.
Ich feierte diesen Durchbruch mit einer Flasche Burgunder und machte mich wenige Tage später vermeintlich geläutert in die Rue de Bretagne auf, um dem Comte von meinem Entschluß zu erzählen. Er hatte mich wie einen Freund verabschiedet und mir das Privileg eingeräumt, wann immer mir der Sinn danach stünde, ihn zu besuchen. Als ich ihm auseinandersetzte, meine Gabe nicht nach Jahrmarktsart zu vergeuden, wuchs ich in seiner Achtung. Im übrigen, setzte er klug hinzu, hätte ich langfristig nur dann seriösen Erfolg, wenn es mir gelänge, meine Gabe analytisch und systematisch einzusetzen. Typisch für ihn, vermischte er dabei mir förderliche Gedanken mit sarkastischen, wenn nicht gar zynischen Bemerkungen:
»Arbeiten Sie empirisch, Monsieur Petrus. Betreiben Sie Wissenschaft von unten. Suchen Sie sich Subjekte, anders gesagt, zögern Sie nicht, sich Subjekte dienstbar zu machen. Die Pariser Märkte fallen mir ein, Restaurants, Prostituierte. Interessant fände ich auch, wenn Sie sich einen zur Guillotine Verurteilten vorknöpften. Befehlen Sie dessen Kopf, sich zu erinnern. Vielleicht könnte man auf diese Weise dem Tod noch ein paar Geheimnisse entlocken?«
Welche possierlichen Abenteuer mir derartige empirische Ver-suche bescherten, werde ich später erzählen. Sie sind nicht minder amüsant wie die Geschichte La Belle Fontanons, die ich hier kurz einflechten möchte.
Die schöne Kurtisane bedankte sich bei mir erstens mit einem dicken Kuß, zweitens mit Tränen der Rührung und drittens einer goldenen Tabatière, deren Deckelinnenseite ihr tief dekollétiertes Porträt zeigte. Zusätzlich ließ sie in der
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