Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
ihm eine saftige Ohrfeige. Hasserfüllt brüllte Michel auf, während Sébastien sich schniefend und den Tränen nah, den Dreck aus dem Gesicht wischte. »Du fängst dir gleich noch eine ein, Michel!«
»Sie sind tot!« zischte Michel. »Warum mischen Sie sich ein!«
»Was hast du da gerade gesagt, Freundchen? Noch einmal: Was – hast – du – da – gerade – gesagt?«
Überraschung ist ein wesentliches Mittel der Hypnose. Und so klang meine Stimme entgegen Michels Erwartung weder wütend noch aggressiv, sondern nur sanft und weich - ein Effekt, der mehr bewirkte, als hätte ich aus Leibeskräften gebrüllt. Verblüfft riss Michel den Mund auf und starrte mich an, als hätte er eine Erscheinung. Mein Blick tat ein übriges. Was genau dieser suggestiv-hypnotische Blick auslöst, vermag ich nicht zu sagen. Marie Bonet jedoch verdanke ich eine ungefähre Vorstellung davon. Sie beschrieb mir einmal, was sie empfindet, wenn wir Sitzung abhalten - ganz ähnlich muss es also Michel ergangen sein und den vielen anderen Menschen, die ich später hypnotisierte: Sie bilden sich zum Beispiel ein, dass die Augen vor ihnen wie frische Kastanien duften, gleichzeitig erscheinen sie ihnen so klar wie das Wasser eines schmelzenden Eiszapfens.
»Ihre völlige Ruhe«, so Madame Bonet, »überträgt sich fast sofort und lässt in einem die Sehnsucht wachsen, auf der Stelle vor ihnen zu kapitulieren. Gleichzeitig ergreift einen das Gefühl, irgendwo in deinem Kopf habe sich ein Leck aufgetan, aus dem alle Gedanken ins Nirgendwo strudeln.«
Sagte ich eingangs, dass ich meine hypnotische Gabe damals gleichsam eingebüßt hatte, darf dies nicht absolut verstanden werden. Ich räumte ihr nur keinen besonderen Platz ein, weil ich unter einer Art Bann stand, der erst gebrochen werden musste. Mithin war es eher ein aus einer grimmigen Laune heraus geborenes Spiel, dass ich Michel hypnotisierte. Mit fatalen Folgen, wovon später noch zu erzählen sein wird.
Zunächst aber hatte ich Erfolg. Michel war wie gefangen, fast schon gelähmt – nicht aber Sébastien Soulé, dieser hinterhältige Sohn des Bürgermeisters.
»Du bist ein Krähenfresser, Michel«, ahmte er teuflisch geschickt meine Stimme nach, womit er seinen Kombattanten zurück in die Wirklichkeit riss.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Denn da Michel noch an meinen Augen hing, glaubte er, ich habe ihn beleidigt. Es nützte nichts mehr, dass ich Sébastien ohrfeigte. Michel rannte davon, als wären die Furien hinter ihm her, und nichts sah danach aus, dass er sich mir schon eine halbe Stunde später wieder in Erinnerung bringen sollte. Wenigstens gelang es mir, Sébastien soweit zu bringen, sich zwischenzeitlich bei Meister Marchand zu entschuldigen. Ich fragte dann noch in der Fischräucherei nach, warum nicht, wie vereinbart gewesen war, mittags die Aale im Hospiz angekommen seien. Die freche Antwort trieb meinen Blutdruck gleich wieder hoch, und als ich kurz darauf Michel wiedertraf, der von zwei Riesenschnauzern begleitet wurde, dämmerte es mir, dass das Schicksal wohl heute Besonderes mit mir vorhatte.
Zwei Hunde. So also sah Michels Rache aus. Die Köter reichten einem ausgewachsenen Mann ein gutes Stück über das Knie, waren also nicht zu groß, aber eben auch alles andere als klein. Das wenig freundliche Trio hatte sich vor meinem Häuschen versammelt – in einer Seitenstraße der Pariser Chaussee, unmittelbar am Rand des Bois de Vicennes.
Bis zur Abfahrt des Omnibus-Wagens nach Paris war es noch eine halbe Stunde. Ich musste mich beeilen.
»Sieh da!«, rief ich launig. »Der Michel und sein Empfangskomitee. Sehr einladend. Richtig nobel.«
Ich tat, als könnte mich nichts einschüchtern, und marschierte, ohne den Schritt zu verlangsamen, auf mein Domizil zu, in der Nase den Duft wunderbar gelbgrüner August-Äpfel. Auf den ersten Blick schienen die Hunde sogar friedfertig, zumindest knurrten sie nicht. Doch Michel war so durchtrieben wie bösartig. Ohne ein Wort zu sagen, haschte er nach meiner Apfeltüte, die prompt zerriss. Die Äpfel fielen in den Sand.
»Du Satan! Ich werde dir zeigen …«
Der erste Schnauzer entschied sich, anzugreifen. Noch einen Apfel in der Hand, hatte ich keine Zeit, länger zu überlegen. Mein Apfel traf den Schnauzer am Schädel. Der Köter jaulte auf und suchte das Weite, nicht so jedoch der andere. Panisch trat ich zur Seite, bückte mich und opferte zwei weitere Äpfel. Doch die trafen nicht, und so konnte ich nur zusehen,
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