Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Zwillingsbruder und auch lebhafter. Ohne sich um irgendwelche Schicklichkeiten zu scheren, küsste er Marie-Thérèse Wangen und Stirn und umarmte sie so zärtlich, als wäre er ihr Bräutigam.
Ich beobachtete, wie Ludwig erbleichte und das Gesicht verzog. Sein Kopf senkte sich, wieder starrte er auf den Teppich. Philippe aber blitzte ihn triumphierend an, ganz so, als wolle er ihm sagen: Schau her, du Zweitgeburt, mich liebt sie genauso wie dich. Und Marie-Thérèse schien Philippe Recht zu geben. Denn sie ließ sich seine Zärtlichkeiten nicht nur gefallen, sondern gurrte dazu wie eine liebeshungrige Taube.
Schöne Frau, dachte ich amüsiert, aber auch etwas empört, du benimmt dich, als sei dir Ludwig auf einmal völlig gleichgültig. Vorhin tatst du noch so, als würdest du dir um ihn Sorgen machen! Andererseits, es sind Zwillingsbrüder. Ich selbst weiß kaum, wen ich vorziehen würde, warum sollst du dann nicht beide genießen und dir bald den einen, bald den anderen gönnen.
»Verdammt, jetzt trinkt!«
Ludwig drückte Philippe die gefüllte Flûte in die Hand. Der reichte sie an Marie-Thérèse weiter, woraufhin Ludwig seine Depression gegen blanke Wut tauschte. Um einen Ausbruch zu verhindern, füllte ich rasch die anderen Gläser und servierte sie den Brüdern wie ein Kammerdiener auf dem Tablett.
»Auf uns!« rief Philippe provozierend.
»Ja, auf uns!« sekundierte Ludwig trocken.
Marie-Thérèse hatte Ohren genug, zu hören. Um Ludwig zu beruhigen, schmiegte sie sich an ihn wie eine Katze und fuhr ihm ein paar Mal durch das Haar. Ihre Augen blitzten, und ihre Lippen lockten. Meine Augen begannen zu brennen. Dieser Frau zu verfallen war keine Schande, sondern eher ein Naturgesetz. Zwillingsbrüdern, die um sie warben, mussten daher schon zwangsläufig zu egoistischen Rivalen werden. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt, dass Marie-Thérèse die Ernsthaftigkeit des Buhlens um sie keineswegs so würdigte, wie man hätte glauben können, sondern eher auf ein amüsantes Abenteuer aus war. Denn was außer Musik und Konzertauftritten, außer Reisen, Salons, Hotels bot ihr das Leben?
War es also ein Wunder, dass ich mich auf einmal wie das fünfte Rad am Wagen fühlte? Einerseits wirkten Ludwig und Philipp wie zwei Platzhirsche, andererseits strahlten sie ein heftiges Begehren aus, das Marie-Thérèse weiter anheizte. Bald glaubte ich, dass alle drei Kraft für längst geplante nächtliche Ausschweifungen sammeln wollten - die Gerichte dafür waren ideal: Rheinkrebse, Speckeierkuchen, Hochzeitssuppe, Rauchfleisch mit Champagnerkraut, Ochsenlende, Apfelkompott. Die Art, wie Marie-Thérèse dem Kompott nachschmeckte und dabei die Lippen vorschob, brachten auch meine Empfindungen wieder auf Trab. Ich konnte nicht verhindern, dass sich schließlich Bilder in meinem Kopf türmten, die Marie-Thérèse nackt und stöhnend zeigten.
Ich lüge nicht, wenn ich preisgebe, dass ich beim Café auf einmal zu wissen glaubte, wie Marie-Thérèse sich anfühlte und sich anhörte, wie sie roch und sich im Bett gebärdete. Sie ist wie die Baronin, mit deren Söhnen ich jetzt speise, dachte ich mir, und die mich einst mit sechzehn Jahren zum Mann gemacht hat.
Ich verabschiedete mich. Die Anstrengungen der letzten Woche forderten ihren Tribut. Plötzlich war ich so erschöpft, dass ich auf der Stelle hätte einschlafen können. Ob Marie-Thérèse die Enttäuschung nur spielte oder ob sie echt war, konnte ich nicht entscheiden. Aber sie bat mich, ich möge sie bald wieder besuchen. Als sie mir zum Abschied die Hand reichte, nickte sie zufrieden und meinte, ihr Porträt sei richtig gewesen.
»Ein anderes Mal, Petrus, werde ich die sinnliche Seite Ihres Wesens betonen. Ich weiß jetzt, dass sie heute ein wenig zu kurz gekommen ist.«
Sie küsste mich auf die Wangen und lächelte. In diesem Augenblick gab es nur uns beide, alles andere zählte nicht. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Marie-Thérèse Lippen, ihre Kühle, die sich auf der Haut in Brennen und dann Verlangen verwandelte – niemals zuvor hatte mich ein Déjà-vu-Erlebnis derart körperlich angegangen. Ich fühlte mich wie verwundet. Süße und bittere Leidenschaft regte sich, das Verlangen, Marie-Thérèse an mich zu reißen und sie in Besitz zu nehmen.
Ich hatte mich verliebt.
8.
Wenige Tage später fügte es sich, dass ich abends die Seine abwärts spazierte - vorgeblich, um meinem Restaurantführer eine neue Lokalität in Saint Germain
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