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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Kämpfernaturen, liebten die Vision, aber scheuten die Realitäten. Ihre Pläne, ausgewählte Regimenter aufzuwiegeln, die sich dann strategischer Punkte bemächtigen sollten, war Träumerei und Sandkastenspiel zugleich. Überdies war die Geheimpolizei zu gut organisiert. Dass die Pläne aufflogen, war abzusehen gewesen. Übrig blieb ein Häuflein Aufrechter, das sich vom Massaker auf der Place de Grève nicht einschüchtern ließ. Im Herzen das Bild von vier jungen, mutig für ihr Ideal in den Tod gegangenen Freunden und Unteroffizieren, radikalisierten sie sich und pickten sich wahllos Opfer heraus.
    Ich will nicht ausweichen. Das Bedürfnis, mir ein Mädchen zu kaufen, war da. Also steuerte ich Ecke Rue de Rivoli auf einen Droschkenstand zu und befahl dem Kutscher, mich zur „Madeleine“ zu fahren.
    Der Kutscher, den Mund voll Kautabak, rotzte aufs Pflaster und ließ die Peitsche knallen. Die Droschke zog an, nahm Fahrt auf. Offensichtlich war ihr Lenker kein Kind von Langsamkeit. Er schrie die Pferde an, als wäre er auf einer Rennbahn, und rauschte mit im wahrsten Sinn des Wortes traumhafter Geschwindigkeit durch die fahl erleuchtete Dunkelheit. Mir kam die Fahrt unwirklich vor und nur allzu bald hatte ich das Gefühl, nicht mehr in Paris zu sein. Entgegenkommende Kutschen glichen aus dem Nichts auftauchenden und ins Nichts zurückfallenden Schatten, Fahrzeuge, die überholt wurden oder am Straßenrand standen, schienen für kurze Augenblicke außerhalb der Zeit zu sein und wirkten, als gehörten sie einer anderen Welt an. Doch schon zehn Minuten später war alles vorbei.
    Vorsichtig, fast ängstlich öffnete ich den Schlag und schaute mich um. Als ich aber auf die erleuchtete Place de la Madelaine trat, war alles wie es sein sollte: Die Welt hatte sich keinen Deut verändert. Die Pferde dampften, die Menschen johlten und über der Stadt wölbten sich Rauch und Qualm aus Tausenden von Schornsteinen.
    »Warum zum Teufel waren Sie so schnell?«
    »Weil ich für den Rest meiner Tage Spaß will, Monsieur. Bin todkrank. Geschwüre im Mund und der Speiseröhre. Schnelles Tempo heisst für mich mehr Zeit. Mein Traum ist es, mit vollem Tempo an einer Wand zu zerschellen. Leider sind da die Gäule im Weg.«
    Ich zahlte. Der Kutscher lachte und ließ die Peitsche knallen.
    »Fahrspaß! Wer will nicht nur wo hin, sondern auch Fahrspaß? Verdammt, ihr Trottel, steigt ein. Wer mit mir, dem schnellen Bibi fährt, erlebt alle Feste auf einmal.« Ein Pärchen konnte er mit dieser Verlockung gewinnen. »Aber kommt gar nicht erst auf die Idee, es auf dem Leder treiben zu können!« rief er warnend. »So schnell seid ihr nämlich gar nicht fertig, Kinder, wie ich euch vor die Haustür gefahren habe!«
    Ein zweites Pärchen stieg zu, Bibi krähte vor Vergnügen. Als die Droschke anzog, feuerten die Menschen sie an, klatschten und lachten. Der Kutscher aber ließ die Peitsche knallen, als wolle er sich durch den Nebel prügeln.
    So schnell wie Bibi seine Touren erledigte, so schnell wollte ich die meinige erledigen. Auf den Stufen der „Madelaine“ lungerten zwei Mädchen herum. Straßenhuren. Sie rauchten und teilten sich eine Flasche Rotwein. Als ich zu ihnen herüberlinste, winkte mir eine von ihnen mit der Flasche zu. Ich schüttelte den Kopf. „Spielverderber“, maulte das Mädchen und setzte die Flasche an wie ein durstiger Säufer - im Rücken die Skulptur des Jüngsten Gerichts. Ich grinste, fühlte mich auf einmal wohlig unbeschwert im Kopf - so, als hätte Bibis rasende Fahrt die Katastrophe um die Familie Soulé in eine fernere Vergangenheit gerückt.
    Die Trinkerin stieß auf und wischte sich mit schorfigem Handrücken den Mund. Ja, so war Paris. Hehres und Vulgäres feierten in dieser Stadt seit jeher gerne am selben Fleck. Der mit zweiundfünfzig korinthischen Säulen eingeFasste Siegestempel, den Napoléon 1806 für seine Armee hatte bauen lassen, diente König Ludwig seit 1814 als Sühnekapelle für seine auf der Guillotine umgekommenen Verwandten. Nach Sonnenuntergang jedoch versammelten sich hier Straßenhuren, Säufer und Glücksspieler genauso wie Künstler, Studenten und religiöse Schwärmer mit Bekehrungswahn. Und die Kneipen in der Gegend waren immer für eine Überraschung gut.
    Als ich in die Straßen und Gassen zwischen Madelaine und Place Vendôme eintauchte, strebte ich in die nächstbeste Lokalität, um mich bei einem Glas Schnaps aufzuwärmen. Wo ich eintrat, gab es noch genau einen leeren Tisch,

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