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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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aber dessen Holzplatte zierte eine Bierlache. Ich rief nach dem Kellner, der auch sofort kam, aber den Tisch nur oberflächlich abwischte. Ich bestellte einen doppelten Anis ohne Wasser, aber letzteres kam trotzdem. Den Schnaps kippte ich mit zwei Schlucken, das Wasser ließ ich stehen. Nach fünf Minuten wurde mir warm. Ich winkte, legte Geld auf den Tisch und verließ das Lokal.
    Ein paar Ecken weiter, in der „Petit Rose“, einem Lokal mit nur drei Tischen, genehmigte ich mir am Tresen gleich noch einen Anis. Obwohl die Tresen-Mademoiselle mich mehrmals sehr neugierig anschaute, war ich nicht in der Laune, irgendwelche Versuche mit ihr anzustellen. Also schüttelte ich nur den Kopf, was soviel heißen sollte, wie: Auch wenn Sie mich zu kennen glauben, Mademoiselle, heute nicht. Schließlich aber lächelte ich, denn das Mädchen war hübsch und alles andere als grisettenhaft.
    »Céline, Nachschub!«
    »Das hilft dir jetzt auch nicht, Claude!« Ich drehte mich um. Claude, ein untersetzter Mann in den Vierzigern mit gewaltigem Schnurrbart, hatte sich in die dunkelste Ecke gesetzt und soff gegen irgendeinen Kummer an. »Egal. Noch einen.«
    »Aber das ist der letzte. Du ruinierst dich.«
    »Das ist jetzt auch gleich.«
    Céline schenkte ein und schob Claude das Glas hin. Die anderen acht leeren Gläser stellte sie aufs Tablett, machte sich eine Notiz und begann dann zu erzählen. Ich erfuhr, dass Claudes Vater gestorben sei. Aber das sei nicht der eigentliche Grund, warum Claude saufe und heule.
    »Er tut´s deshalb, weil er sich Vorwürfe macht, seinem Vater nie gesagt zu haben, dass er ihn liebe. Jahrelang tranken und spielten sie hier beide einmal pro Woche. Claudes Vater ließ es sich nie nehmen, zu zahlen. Ich bin für ihn verantwortlich, war sein Credo, so war er, das war sein Wille, und Claude musste sich fügen. Jetzt aber ist der Alte tot. Jahrelang grübelte Claude darüber, wie er sich eines Tages revanchieren würde. Jetzt fällt ihm ein, dass er nicht nur immer ‚Danke‘ hätte sagen sollen, sondern wenigstens einmal den Satz: ‚Papa, ich habe dich lieb.‘«
    So lakonisch Céline erzählte, mich rührte die Geschichte. Also setzte ich mich zu Claude an den Tisch und bestellte zwei Runden auf meine Rechnung. Beruhigend legte ich ihm die Hand auf den Arm, und Aug in Aug kippten wir den Anis. Claude schniefte, nach einer Weile entspannte sich sein Gesicht. Er seufzte, und irgendwann begann sein Oberkörper leicht vor und zurück zu schaukeln.
    »Weisst du noch, wie dein Vater aussieht?«
    »Aber sicher.«
    »Könntest du dir vorstellen, dass er dich ab sofort überall hin in die Welt begleitet?« Ich senkte meine Stimme, Claudes Lider begannen zu flackern. Sein Seufzen klang wie ein Keuchen, auf einmal aber spielte ein Lächeln um seinen Mund. »Du stehst doch wegen deines schönen Bartes jeden Morgen vor dem Spiegel, nicht wahr? Schau einmal genau hin! Denn dein Vater beobachtet dich dabei. Siehst du, wie stolz er auf dich ist?
    »Mmh.«
    »Und nun Claude, paß auf. Ich sag dir nämlich, dass du das Antlitz deines Vaters nicht nur im Spiegel sehen kannst, sondern du erkennst es auch, wenn du auf der Pont Neuf stehst und in die Seine spucken willst. Aber nicht nur dort. Auch im Luxembourg, wo die Wasserspiele in den Becken zur Ruhe kommen – ich sage dir, du bist nicht allein. Wenn du im Mondlicht einen See betrachtest, lächelt dir das Antlitz deines Vaters zu, und selbst wenn du in den Himmel schaust, formt sich aus Gottes Wolken für dich irgendwann die gütige Miene deines Vaters. Schau in die Fensterscheiben der Boulevards, in die Spiegel der Salons oder des Coiffeurs, lasse deine Augen über die Zimmerdecken der Kneipen wandern, berausche dich am falschen glitzernden Schmuck der Dirnen in den Etablissements – dein Vater zwinkert dir zu. Meist wirst du ihn nicht sehen, Claude, oder erst spät entdecken, aber wenn du sein Antlitz einmal erhaschst hast, wird dein Herz laut sagen: Papa, ich hab dich lieb. Nur du und er werden es hören, aber trotzdem hast du es laut und klar gesagt. Du wirst dich gleich ein Stück leichter fühlen. Nach dem siebten Mal dann, wenn du sieben Mal diesen einen Satz gesagt hast, wirst du deinen Schmerz tragen können, ihn vielleicht sogar vergessen haben. Halte also ab morgen die Augen offen, ja?«
    »Das werde ich tun.«
    Ich schwieg. Ausdruckslos schaute Claude vor sich hin, was aussah, als träume er mit offenen Augen. Céline, die die Szene beobachtete, war vor

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