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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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als Malerei. Irgendwann werde ich die Dissonanz für Sie auflösen können - wenn ich Sie dereinst neu zeichne. Aber dafür muss erst Zeit vergehen. Zum Glück ist Ihr Porträt eines, bei dem die Dissonanz korrigiert werden kann. Ich könnte mir aber auch eine Musik bei Ihnen vorstellen, in der es nur noch Dissonanzen gibt. Aber diese Kunst hätte dann nichts mehr mit dem Leben zu tun. Sie wäre der Tod.«
    Für einen Augenblick verhärteten sich Marie-Thérèses Gesichtszüge, doch dann lächelte sie wieder. Mir selbst freilich waren Kopf und Herz wie leer gefegt. Die Worte Tod oder Sterben waren damals wie Gift für mich. Denn nach wie vor war die entsetzliche Geschichte um Sébastien und Esther Stadtgespräch. Ich fürchtete, deswegen nie wieder froh werden zu können, obwohl mich die Justiz längst entlastet hatte. Tatsächlich hatte man mich verhaftet und im Untersuchungsgefängnis La Force festgesetzt. Daniel Roland war es zu verdanken gewesen, dass ich nach drei Tagen wieder frei kam. Natürlich hatte auch der Polizeikommissar in La Force nichts Definitives gegen mich in der Hand, aber der Retter La Belle Fontanons wurde eben mit anderen Maßstäben gemessen. Wenn ich, so die Anklage und Anzeige der Eltern Soulé, gewußt habe, wie labil der Zustand des Jungen sei, hätte ich als gewissenhafter Arzt und Psychiater eine deutliche Warnung aussprechen müssen. In Wahrheit jedoch hätte ich das Vertrauen der Eltern mißbraucht und ihnen fälschlich vorgegaukelt, Sébastien therapieren zu können.
    Kein Wort stimmte davon, doch Sébastiens Vater war nun mal Bürgermeister und leitete daraus das Vorrecht ab, die Schuld bei anderen zu suchen. Es sollte ihm nichts nützen. Von Beginn meiner Festnahme an ahnte ich, dass er sich nur hinter seiner Amtswürde verbarg, um sich selbst zu schützen.
    Tatsächlich hatte er die Katastrophe allein zu verantworten.
    Was nun war geschehen?
    Clarice, das Hausmädchen der Soulés, hatte am Sonntagnachmittag ihren Besuch mit auf die Kammer genommen, als die Herrschaft in den Bois de Vincennes aufgebrochen war. Sébastien und Esther – die Brüder waren auf einer Geburtstagsfeier - blieben zu Hause, Sébastien in seinem Zimmer, Esther im Laufstall in der guten Stube. Gegen halb vier, als Clarice und ihr Besuch, Jean-Louis, wieder zu Atem gekommen waren, hörte das Hausmädchen Esther aufschreien. Als die Kleine dann gotterbärmlich zu wimmern begann, bekam Clarice es mit der Angst zu tun - nicht etwa, weil sie Sébastien verdächtigte, etwas Böses zu tun, sondern sie befürchtete, Esther sei aus dem Laufstall gefallen. Nur im Hemd hastete sie die beiden Stockwerke herunter und stürzte in die Stube. Doch kaum, dass ihre Augen begriffen hatten, was sich ihnen bot, wurde sie ohnmächtig. Dass sie geschrien habe wie am Spieß, hatte sie später von Jean-Louis erfahren, der sich, ebenfalls nur mit seinem Hemd bekleidet, voller Grauen auf Sébastien gestürzt hatte.
    Zu diesem Zeitpunkt war Esther bereits so gut wie tot. Sébastien hatte begonnen, sie mit dem Rasiermesser seines Vaters zu schälen. Da er am Hals begonnen hatte, musste seine Schwester nicht zu lange leiden. Esther wurde ungefähr in dem Moment ohnmächtig, als Clarice die Stube erreicht hatte, und verblutete in den Sekunden, in denen Jean-Louis dem Jungen das Rasiermesser entwand und ihn kurz entschlossen niederschlug.
    Jean-Louis war seitdem in Bicêtre in psychologischer Behandlung, und Clarice erholte sich in Paris bei ihrer Großmutter. Nie wieder, hatten sich beide geschworen, wollten sie einen Fuß nach Charenton setzen.
    Soweit die äußeren Umstände. Die inneren enthüllte Sébastien selbst. Zuerst einmal sei er sich der Untat bewußt, hatte er dem Polizeikommissar ruhig und altklug zu Protokoll gegeben. Aber, so wäre nun einmal der Weltenlauf, des einen Leid sei des anderen Freud. Er, Sébastien, habe sich, indem er Rache genommen habe, endlich von einer Last befreit.
    Was denn der Grund der Rache sei?
    Die Nicht-Liebe seiner Schwester nebst deren Befehl an seine Eltern, ihn, den jüngsten Sohn nicht mehr zu lieben.
    Woher er denn wisse, dass Esther ihn nicht liebe?
    Sébastian habe bei dieser Frage die wissende Miene eines Inquisitors aufgesetzt, hochmütig die Augen niedergeschlagen und überlegen gelächelt. Seine Antwort lautete: Esther habe es ihm im wahrsten Sinn des Wortes eigenhändig demonstriert.
    Wie dies verstanden werden müsse?
    Im Protokoll fiel nun ein paar Mal mein Name, infolgedessen ich auf

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