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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Schultern und sagte, meist sei es so, aber es gebe auch andere Kunden … Andere? fragte La Belle. Schlimmere, schob Madame nach. Da begann sie zu überlegen: Zuhause hab ich einen, sagte sie, dem mach ich´s zuerst von vorne, dann will er es normal von allen Seiten, und beim dritten Mal begehrt er mein Hintertürchen. In der ersten Runde reisst er mir die Haare raus, und es schmeckt nach Knoblauch, in der zweiten kriege ich blaue Flecke, und am Ende der dritten darf ich einen Tag lag nichts mehr essen, weil es richtig weh tut. La Belle mietete daraufhin hier ein Zimmer und kehrte nie wieder zu ihrem Gatten zurück. Sieben Tage die Woche ging sie ihren Geschäften nach. Eines Tages dann putzte sie sich heraus und machte sich ins Theater auf. Der Fisch, den sie sich dort angelte, war ein alternder verwitweter Bankier. Nach zwei Monaten hatte sie ihn unter die Erde gebracht. Aber das spricht ja nur für sie …«
    Als Ivy La Belle Fontanons Geschichte zu Ende erzählt hatte, lag ich längst in einem der Séparées auf dem Diwan, in der Hand eine Flûte voller Champagner. Neben Ivy betuschelten mich vier andere Grazien der Liebe. Madame saß gegenüber auf einer Chaiselongue und schaute gelassen dem Treiben zu.
    Der Diwan war von ungeheurer Größe und hoch wie ein italienisches Bett. Über mir Spiegel, neben mir Spiegel, war er eine einzige Pracht. Mohnrote Quasten zierten seine Pfosten, der weiße Stoff mit feinen hineingewebten Rauten schimmerte seidig. Beleuchtet wurde diese mit orientalischen Kissen bedeckte Spielwiese von sechs vergoldeten, je zwei Kerzen tragenden Wandarmen – kurzum, vor den Tapeten und Fenster-vorhängen wirkte dieser Diwan wie das Liebesnest eines Riesen-Paares.
    Ein Mädchen war hoch suggestibel, eins mäßig, Ivy gar nicht. Um die anderen beiden kümmerte ich mich nicht. Aber es war berauschend, fünf Mädchenleiber gleichzeitig zu erkunden. Irgendwann begannen mir Hände und Finger zu zittern und ich mich auf seltsame Weise zu verwirren: Gesichter, Schenkel, Brüste, ein Schoß offen, einer geschlossen – ich glaube, ich begann zu schielen, und das machte mich schwindelig. Eines aber war ich mir gewiß: Für die Mädchen zählten diese Augenblicke zu den vergnüglichsten, die sie im „Grand Empereur“ je erlebt hatten. Ihr Kichern verwandelte sich in Gelächter, als ich Claire, die hochsuggestibel war, hypnotisierte. Einmal ließ ich sie, solange ich mich in ihr bewegte, die Marseillaise pfeifen, die sie aber nur dann zu Ende brachte, wenn ich innehielt. Eine andere Suggestion brachte Claire dazu, immer dann laut zu schnarchen, wenn Ivy ihr mit dem Godemiche kam. Dann wieder suggerierte ich ihr, dort, wo eigentlich nichts zu sehen wäre, sei in Wahrheit eine Hummerschere, die gefährlich zwacke. Claire hockte sich breitbeinig vor den Spiegel und bekam solche Angst, dass sie es nicht einmal fertig brachte, mit dem Finger nachzuforschen. Lauthals jammerte sie um ihre Kunden, bis Ivy ihr mit dem Godemich klarmachte, dass doch keine Hummerschere ihr Nest bewache.
    Zwischendurch erzählte ich traurige Geschichten, etwa von der Gräfin, die eine Fayence ihres Sohnes betrachtet und ihm einen Brief schreibt, während der Sohn, der inzwischen ein Säufer geworden war, nicht in den Palast gelassen wird.
    »Stellt euch vor«, flüsterte ich beschwörend, »da sitzt die Gräfin in ihrem Gemach und schreibt und schreibt. Und ist es nicht verrückt? Sie denkt sich die Antwortbriefe ihres Sohnes Pierre lieber selbst aus, der aber darf nicht in den Palast! Wenn Pierre Steinchen an ihr Fenster wirft, schaut sie nicht hinaus; wenn er nach ihr schreit, das Gesicht speckig, die Augen glasig und blutunterlaufen, hört sie nicht hin. Seine realen, verzweifelten Antwortbriefe wirft sie ungelesen in den Kamin, leugnet ihre Existenz, aber sie schreibt und schreibt. Lächelnd malt sie sich aus, was Pierre ihr alles erzählen würde und welche Worte er dazu wählte. Versunken in ihren Wahn schreibt sie Seite um Seite - aber ihre Briefe gehen allesamt an nicht mehr existierende Adressen.«
    »Ja, und das nur, weil sie allein in der Vergangenheit leben will, das Biest«, fauchte Ivy und wischte sich die Augen. »Wir alle hier kennen das. Auch unsere Eltern sind nicht mir der Zeit mitgegangen. Für sie sind wir alle zehn Jahre alt. Kleine unschuldige Kinder im Kittelkleid und Zöpfen. Wenn wir ihnen schreiben, kommt nie eine Antwort. Wir können Geld schicken, es findet zu uns zurück, wir können schreien, dass wir

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