Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Bestimmt werde ich irgendwann wahnsinnig. Dann musst du mein Arzt werden.«
»Ich bekenne, mir fehlen die Worte.«
»Das ging dem Polizeikommissar nicht anders.«
Philippe zeigte auf eine doppelsitzige „Marquise“ mit Blumenstickerei und bat mich, Platz zu nehmen. Freimütig bekannte er, dass ihm die verbesserten Vermögensverhältnisse, die der Tod Ludwigs zur Folge habe, nicht ungelegen kämen – was ihm Albert Joffe, Polizeikommissar aus der Conciergerie, auch auf den Kopf hin zugesagt habe.
»Leider gibt es bislang nicht den kleinsten Hinweis auf einen Täter. Aber nun stell dir vor: Nach wie vor bin ich der Hauptverdächtige! Dieses Riesenkalb von Kommissar hat mir einen Bewacher an die Seite gestellt, der alle meine Schritte protokolliert und mir theoretisch sogar verbieten darf, die Wohnung zu verlassen. Du wirst Monsieur Joffe bestimmt bald kennenlernen. Er traut mir genauso wenig über den Weg wie du. Stimmt´s?«
»Getroffen.«
Wir lachten beide lauthals los, aber es klang nicht gerade befreiend, sondern eher gezwungen. Befremdlich fand ich, dass Philippe sich mit keinem Wort gegen die Unterstellung des Polizeikommissars auflehnte, sondern im Gegenteil so tat, als fände er sie völlig in Ordnung. Er wechselte das Thema, indem er versprach, zu gegebener Zeit etwas über die Herkunft der Bilder erzählen zu wollen, derweil ein Diener auf einem Teewagen Torte, Kaffee und Schokolade servierte.
»Die Torte musst du unbedingt probieren. Sieben Schichten, jede für sich ein kleines Weltwunder. Ah, dieser Debauve ist ein Heiliger. Ein Schokoladen-Genie! Und damit wahrer Philanthrop. Schau bei ihm vorbei! Rue Saints-Pères 26! Richte ihm einen Gruß von mir aus und probiere seine Ambra-Schokolade. Ob dich fixe Ideen plagen oder du ein Etablissement zu viel besucht hast, ich verspreche dir, du wirst Wunderdinge an dir feststellen! Ergo, die Schokolade ist für mich, der Kaffee für dich.« Philippe ließ sich einschenken und schnupperte so enthusiastisch an der Tasse, als spiele er Komödie. Darauf nippte er, schmeckte nach und begann nach dem ersten großen Schluck wohlig zu brummen. Fast flüsternd sprach er weiter: »Baron Philippe ist ein Gourmet und Gourmand geworden, Petrus. Ich sage dir, mein Mund ist wäßrig wie ein Säuglingsschlund, mein Magen wehleidig und die Säfte darin kochen. Ich fühle mich bei Appetit angespannt wie ein Soldat, der auf den Befehl zum Dreinhauen wartet, dabei weiß ich, dass es nur die Hungergase sind, die meine Eingeweide nach oben drücken.«
»Mein Vater würde jetzt kommentieren: Gourmands werden nicht geboren, sondern gemacht. Du bist Baron, kannst es dir leisten. Freilich, in einem Wettessen würdest du vor mir platzen. Vergiß nicht, seit zwei Jahren erkunde ich Paris gleichsam fressend. Brillat-Savarin sagt ja nicht von ungefähr: Das Schicksal der Nationen hängt von der Art ihres Essens ab und die Entdeckung eines neuen Gerichtes ist für das Glück der Menschheit wichtiger als die Entdeckung eines neuen Sterns. Aber - auch wenn du nicht darüber sprechen magst: Polizeikommissar Joffe wird um dein Alibi wissen. Andernfalls säßest du jetzt in der Conciergerie in einer jener Einzelzellen, wie ich sie kennengelernt habe.«
»Ach ja? Was du so alles weisst. Schlau, Herr Doktor Irr.«
Philippes joviale Laune stürzte in sich zusammen. Als wäre er ein sanguinischer Trinker, trübten sich seine blauen Augen, selbst das blonde Kraushaar wirkte mit einemmal wie eine falsch aufgesetzte Perücke. Die auffälligste Veränderung spielte sich im Gesicht ab: Was dort rund und sanft war, versteinerte, und die genießerischen vollen Lippen wurden zu schmalen Balken.
»Was rede ich für dummes Zeug. Jetzt hab ich dich beleidigt.«
»Ach was. Ich möchte nur wissen, woher du mein Alibi kennst.«
»Wo denkst du hin, Philippe! Ich leite dies doch nur ab!«
»Aber warum dann diese Komödie, die Joffe mit mir spielt! Denn du hast ja völlig Recht. Ich habe ein Alibi. Allerdings kann ich mich nicht entsinnen, es ihm verraten zu haben. Ich ärgere mich, dieses blöde wichtigtuerische Spiel mit dem Aufpasser überhaupt geduldet zu haben. Himmel, wo ist mein Stolz hin!« Philippe hatte sich wieder ein wenig gefangen.
»Wahrscheinlich liegt es an meinem Beruf, dass ich so rasch schlußfolgern kann. Es reicht nämlich, wenn Ludwigs Personal und Marie-Thérèse beschwören, dass du irgendwann abends die Wohnung deines Bruders verlassen hast. Wenn dann noch dein Personal
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