Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
ich, Marie-Thérèse, schickte, beleidigt wie ich war, den Klavierstimmer keine fünf Minuten später aus dem Saal. Mein Onkel, der irgendwo im Parkett saß, räusperte sich, sagte aber kein Wort. Ich improvisierte eine kurze Kadenz und rief, noch während ich spielte:
»Wie paßt zusammen, dass ein derart auf Umsatz fixierter Mensch eine so großartige Erfindung macht? Monsieur Érard tut, als sei er zu alt für die Kunst. Seine Hand aber, sage ich dir, fühlt sich an wie ein Bündel Geldscheine. Sie riecht sogar so. Als ob er seine Rocktaschen mit Francs gefüttert hat.«
»Kind, Geld stinkt nicht.«
»Nenn mich nicht Kind!«
Langsam ließ ich meine Blicke über die Sitzreihen gleiten. Ich suchte nach dem Schemen des Mannes, der sich mein Onkel nannte und in einer der vorderen Parkettreihen sitzen musste. Wie eh und je trug Abbé Balthasar de Villers die Soutane und überwachte mein Einspielen, ganz so, wie ich es gewohnt war. Mein Onkel besaß die Gabe, mein Spiel nach dem ihm innewohnenden Grad von Konzentration oder Nicht-Konzentration zu beurteilen. Dabei interessierte ihn weniger, ob ich die Kompositionen nach Gehalt und Noten angemessen vortrug, vielmehr bewertete er den Grad der geistigen Leidenschaft, mit dem ich sie spielte. An diesem Tag jedoch war er zu erschöpft, um mich zu loben oder gar zu tadeln. Die London-Reise, die er unternommen hatte, um eine Tournee für mich zu arrangieren, steckte ihm noch in den Knochen.
Indes, es war nicht die Reise allein, dass sich Onkel Balthasar derart einsilbig gab. Das Bild, das ich von ihm im Kopf trug, zeigte ihn mir mit zu Schlitzen verzogenen Augen, müde, übernächtigt, aber doch hellwach, weil er überlegte, wie er es am elegantesten anstellte, mich dem Dunstkreis der Oberkirchs wieder zu entführen. Er hatte meine Liebelei mit Ludwig heftig mißbilligt, jetzt fürchtete er, ich würde Ludwig kurzerhand gegen seinen Zwillingsbruder Philippe tauschen. Dass die elsässischen Oberkirchs sich in Paris breit gemacht hatten, paßte ihm sowenig wie den Pariser Intellektuellen die Wiedereinführung der Zensur. Leider aber war Monsieur Érard hier ansässig und ich verpflichtet, seine Patronage endlich mit einem Konzert zu entgelten. Es führte kein Weg an Paris vorbei. Schließlich sorgte die Firma Érard, wo ich auch auftrat, für das Instrument, und beteiligte sich sogar an den Reisekosten. Mit anderen Worten: Sollte Monsieur Érard beschließen, dass ich hier in Paris noch zwei Konzerte geben müsse, Onkel Balthasar hätte nicht ablehnen können.
»Himmel! Es ist dunkel genug«, rief ich. »Was versteckst du dich? Komm bitte auf die Bühne!«
»Gut, wenn es denn sein muss … Mein Kreuz kann es zwar schwer ertragen, aber sei´s drum.«
»Erwarte kein Mitleid. Wenn der Herr herrschen will, soll er leiden. Es geschieht dir recht.«
»Du bist schön, ein Dreiviertel-Genie und ein Teufel.«
»Ich dachte ein kokettes Hexchen?«
»Dass du eins wirst, genau davor will ich dich bewahren.«
Das Krachen des Gestühls verriet mir, dass mein Onkel sich erhoben hatte. Ein asthmatisches Pfeifen begleitete seine Bewegungen. Es paßte gut zu dem schlanken und kahl geschorenen Mann, dessen Schädel an den eines buddhistischen Mönchs erinnerte. Sein Gesicht glich einem der übermüdeten Henkersgehilfen aus den Tagen der Revolution: Die Augen waren rot umrandet und von stumpfem Eisgrau, die mächtige Adlernase häufig triefend, die blassen Wangen von roten Äderchen durchzogen – so sehe ein Gesicht aus, das die englische Krankheit gesehen und überlebt habe, hatte Onkel Balthasar mir gestanden: „Denn auch ein Abbé, mein Kind, kann nicht immer gegen die Natur.“ In dieser Hinsicht war er ehrlich. Er konnte auch gewinnend lächeln, wurde er aber zornig und begann zu eifern, verwandelten sich seine Lippen in Folterzwingen. Nach außen hin war er ein Verteidiger der Kirche, von der er in der Tiefe seines Herzens jedoch nur wenig hielt. Seine Maxime war: Rechtschaffenheit schlägt Gnade. Mich aber liebte er aufrichtig und opferte meinem Talent und meiner Karriere sowohl sein Vermögen als auch seine Kraft. Von sich selbst sprach er nie, seine Biographie verheimlichte er. Ich wusste nur, dass er der Stiefbruder der Baronin Oberkirch war und nach dem Tod seiner Eltern den Familienbesitz zu Geld gemacht hatte.
»Nun, Onkel? Was spricht dein Herz? Bin ich gut genug für Paris?«
»Für Paris ja. Aber bist du auch gut genug für mich, du ungehorsames Kind?«
»Laß das
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