Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
hin standen sie kleiner und schiefer. Man mochte sie für verzagt halten, doch ich las aus dem Druck der Hand, die sie aufs Papier bannte, Marie-Thérèses Trotz und Willen heraus, mit dem sie ihr Leben meistern wollte.
Ob Philippe von ihrer Einladung wusste?
Ich fragte mich, ob Philippe seiner Drohung jemals Taten folgen lassen würde. Immerhin hatte Marie-Thérèse, wie ihr Brief mir verriet, Ludwigs Wohnung verlassen, ohne Aufhebens davon zu machen. Ihre neue Adresse war eines der Seine-Hotels in Saint-Germain-des-Prés: eine nicht eben billige, aber kleine und gemütliche Herberge, in die sich vor allem Engländer einquartierten. Kaum dass ich meine Karte abgegeben hatte, schwebte Marie-Thérèse am Arm einer Hotelangestellten ins Foyer, in einer Hand einen leeren Korb.
»Ich spazierte schon heute mittag über den Markt, Petrus. Seitdem knurrt mir der Magen. Aber da die Küche hier für die Engländer ist und somit ungeniessbar, konnte ich nichts essen. Bevor wir uns also über irgend etwas streiten, müssen wir erst einkaufen.«
»Streiten?«
»Selbstverständlich! Schließlich warst du so unverschämt, mein Konzert nicht zu besuchen. Nicht einmal entschuldigt hast du dich! Setzte ich nicht Hoffnungen auf deine zauberische Gabe, glaube mir, ich hätte dir diesen Bettelbrief niemals geschrieben.«
»Marie-Thérèse! Ich schwöre, ich habe dein Konzert besucht! Leider aber musste ich feststellen, dass dein Impresario ein mir leidvoll bekannter Abbé ist. Ihn wiederzusehen schockierte mich derart, dass ich nicht mehr die Kraft hatte, dich zu beglückwünschen. Frag deinen werten Baron Philippe. Wir waren beide in der Garderobe.«
»Er sagte nichts von dir.«
»Hast du denn nach mir gefragt?«
»Du meinst, ich hätte ihn reizen sollen?«
Marie-Thérèse hakte sich bei mir ein, und ich kam mir wie ein dummer kleiner Junge vor, dem die große Schwester wieder eine Standpauke gehalten hatte. Schon im nächsten Augenblick aber berauschte mich ihre Nähe. Marie-Thérèse duftete so verführerisch, wie sie schön war. Das ist das Vorspiel, dachte ich. Himmel, mach, das es nicht zu lang wird! Sie macht mich verrückt!
»Dass der Mann, der dich begleitet, einer aus dem Geschlecht der de Villers ist - mein Gott, wie soll ich das ahnen? Er taucht in den Zeitungen und Kritiken immer nur als Onkel und Abbé auf. Genauso, wie du immer nur Marie-Thérèse, die Pianistin, bist. Der geheimnisvolle Impresario und seine noch geheimnisvollere geniale Nichte. Natürlich, es ist gut fürs Geschäft. Ich aber habe andere Erfahrungen mit Monsieur Balthasar de Villers, und zwar unendlich bittere, verstehst du?«
Da dachte ich ans Bett, reden aber tat ich wie einer, der ausgezogen war, ein für allemal Glaube, Liebe und Hoffnung zu begraben. Doch wie reagierte sie? Sie machte sich von mir los, aber nur, um mir in den Weg zu treten und mich mit den erotischsten kühlen Lippen der ganzen weiten Welt auf den Mund zu küssen!
»Waren wir nicht schon einmal weiter?« flüsterte sie. »Oder war das nur ein Traum? Wenn nicht, verspreche ich dir: Ich werde deine bitteren Erfahrungen irgendwann in süße verwandeln. Versuchen wir es am Anfang also mit Austern?«
»Austern? Sind die denn süß? Ich dachte, ich hätte gelernt, dass sie salzig schmecken? Vielleicht gibt es aber auch Austern, die ich gar nicht kenne? Süße Austern, mit weichen Perlen ... Austern, die flüstern und seufzen ... «
Bereitwillig paßte ich mich dem verführerischen Ton an und zog Marie-Thérèse so eng an mich, als sei bereits alles besprochen ... Sie lächelte, wie ich es mir erträumte und bog sogar ein wenig den Kopf nach hinten, so, als lade sie mich ein, ihr den Hals zu küssen – doch als ich dies tun wollte, wandte sie sich ab und gurrte, wir beide sollten uns nicht einbilden, unsere Schelmereien gleich auf die Spitze treiben zu müssen. Mit gespielter Entrüstung stimmte ich zu, gleichwohl war ich so närrisch, Marie-Thérèse im stillen vorzuwerfen, mich schon wieder enttäuscht zu haben. In puncto Austern blieb sie zum Glück bei ihrem Vorschlag.
Der Marché St. Germain hinter der Kirche St. Sulpice war einer der ältesten Märkte der Stadt. Für einen hungrigen Gourmet konnte er genauso ruinös sein wie für einen Spieler der Roulette-Tisch. Auch die Meeresfrüchte der Familie Trompier waren eine Augenweide. Die kunstvoll gestapelten Kästen, Austern-Pyramiden, Seeigel-Ornamente oder Krebskörbe waren berühmt – die Familie beschäftigte
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