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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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dafür eigens einen Dekorateur.
    »Schreibst du nicht an einem Gastronomieführer?«
    »Ich schrieb einen, ja, aber ich ließ mit wohl zuviel Zeit. Zufällig entdeckte ich, dass zwei Adressen nicht mehr existieren. Warum? Die Politik ist schuld! Wem will es aushäusig schmecken, wenn unsere feine Regierung wieder daran denkt, das Kriegsbeil auszugraben? Dieser elende Bourbonen-Stolz! Sie können es nicht ertragen, dass Obermonarchist Ferdinand in Spanien nicht mehr das Sagen hat. Ich behaupte: Dieser Montmorency ist ein Schwachkopf! Aber Chateaubriand ist nicht besser. Wenn selbst Napoleon es nicht geschafft hat, den Stolz der Spanier zu bändigen – ihnen aber soll es gelingen? Unsinn! Sie sind so dumm, als seien sie mit Eselsfleisch gemästet worden, und ihr kleines Hirn ist den Schädel nicht wert, der es schützt.«
    »Schwadronieren, räsonieren, politisieren. Das hilft alles nichts. Wer etwas verändern will, muss leibhaftig kämpfen, du Girondist. Das musst du noch lernen. Jetzt aber kaufe lieber Austern. Und wage nicht, sie zu bezahlen. Das ist mein Privileg.«
    »Mit Vergnügen.«
    So sehr sich die Austernpyramiden bei Trompier ähnelten, so mannigfaltig war das Angebot. Es gebe Dutzende Austernsorten, klärte ich Marie-Thérèse auf. Insgesamt würde man tiefe und flache Austern unterscheiden. Von den tiefen gäbe es kleine, mittlere, dicke und sehr dicke, die flachen würden in vier bis fünf Gewichtsklassen eingeteilt, wobei die schwersten die seltensten und damit teuersten seien. Ich legte Marie-Thérèse eine große flache bretonische Belon-Auster in die Hand und tauschte sie anschließend gegen eine kleine tiefe von der Île d`Oléron.
    »Die Schalen fühlen sich gleich an …«
    »Aber schmecken … grundsätzlich haben diejenigen Austern die beste Qualität, die aus den kältesten Gewässern geholt werden …«
    »Wie kompliziert! Kauf endlich!«
    Im Angebot waren englische und holländische Austern flachen Typs, aber ich entschied mich für die tiefen Claires aus der Marenne, deren Fleisch einen zarten grünen Schimmer aufwies und besonders frisch schmeckte. Sieben Pfund davon ließ ich zurücklegen, zahlte mit Marie-Thérèses Geld und führte sie zum nächsten Stand. Mit einem Netz Austern und einem knoblauch- und kräuterduftenden Korb, aus dem die Flaschenhälse des Champagners wie eine doppelläufige Flinte herausragten, kehrten wir eine gute Stunde später ins Hotel zurück. Während Marie-Thérèse sich umzog, deckte ich den Tisch. Bald bedeckte ein Haufen Papier die kleine Anrichte, und ich musste improvisieren, weil der Eßtisch für all die Spezereien zu klein war. Schon die Düfte machten einen benommen: Wir hatten provenzalische Oliven und gebratene Kaninchenschlegel, Entenleberpastete aus der Bresse, marinierten burgundischen Lammschinken, bretonischen Hummersalat, frisches Weißbrot, weiße Piemont-Trüffeln in Öl und Butter aus der Auvergne.
    Ohne länger zu überlegen, funktionierte ich den Klavierschemel zu einem Beistelltisch um und machte mich mit dem Austernbrecher an die Arbeit. Nach zwei Dutzend Austern schmerzten mir die Finger, aber die erste Flasche Champagner zu entkoren – soviel Kraft hatte ich noch. Ich war jetzt genauso hungrig wie Marie-Thérèse und konnte es kaum mehr abwarten, mich zu Tisch zu setzen.
    »Petrus? Hilfst du mir?«
    Ich glaubte, einem Trugbild zu erliegen, als ich die Tür zum Schlafzimmer öffnete: Nackt und mit Gänsehaut stand Marie-Thérèse vor ihrem Kleiderschrank, die Zehen gekrümmt, das Haar zerzaust. Sie wühlte in einem halb leeren Fach ihres Kleiderschranks, derweil Bett und Boden längst mit Unterwäsche übersät waren.
    »Ich weiß von den Nonnen, dass ich mich meines Körpers nicht schämen brauche. Das andere ist, wer schlecht sieht, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich in Dingen der Schicklichkeit Robustheit anzugewöhnen. Im übrigen bist du ja Arzt und nicht nur Hypnotiseur. Ich suche mein langes Barchent-Hemd mit den Spitzen an den Ärmeln. Es ist beidseitig gerauht, ähnlich wie Flanell. Liegt es auf dem Bett? Mach schnell. Mir ist so kalt.«
    Ich suchte das Bett ab, fand das Hemd schließlich auf dem Fußboden. Als ich es Marie-Thérèse reichte, zitterte sie derart, dass ich nicht widerstehen konnte, sie in die Arme zu schließen. Sie seufzte und schmiegte sich an mich. Nur ein Teil ihres Hemds schützte sie vor meinen kalten Westenknöpfen.
    »Ich versprach, dir deine bitteren Erfahrungen in süße zu verwandeln. Nimm

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