Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
dies als Anfang.«
Sie ließ das Hemd fallen, worauf wir uns lang und ausgiebig küssten. Mehr ist nicht, mehr wird nicht sein, schoß mir durch den Kopf, aber, gib zu: Realistisch betrachtet hast du damit niemals gerechnet. Und so bestand ich – nein, sie - unbeschadet diese Prüfung, obwohl mein Körper vor Verlangen zitterte, als streichelten ihn tausend Seidenzipfel. Doch wann war es genug? Wie lang lässt sich eine nackte Frau küssen, ohne dass einem Mann die Hände davonschlichen? Nun, ich weiß es bis heute nicht – nur, dass unsere knurrenden Mägen diese Kür beendeten. So suchte ich das nächste Kleidungsstück, und so ging es fort, bis Marie-Thérèse in einem weiten Gewand aus beige glänzendem Atlas vor mir stand. Sie schlüpfte in einen eng geschnittenen blauen Seidenmantel, den ich ihr mit einer breiten roten Schärpe über dem Leib zubinden durfte.
Noch einmal küssten wir uns.
Und Marie-Thérèse wusste zu provozieren. »Möchtest du zusehen, wie ich mir Strümpfe überziehe?«
»Lieber nicht. Ich bin doch nur ein kleiner Arzt und Hypnotiseur ... kein Heiliger.«
»Magst du deswegen Austern so gerne, weil sie wie du ein weiches Herz haben? Es heisst doch, dass sie sich sofort zusammenziehen, wenn man einen Spritzer Zitrone oder Essigsauce auf sie gibt.«
»Das ist wahr, aber hab ich denn auch eine rauhe Schale?«
»Nein, aber eine Narbe. Sie verschließt eine Wunde, aus deren Tiefe Eiter auf dein Herz tropft.«
Zärtlich strich Marie-Thérèse mir über meine Wangennarbe. Sie suchte meinen Blick, wollte mich trösten, ich aber schaute über sie hinweg und konnte nichts dagegen tun, dass mein Lächeln flach und spröde wurde. Noch heute bedaure ich, den Zauber unseres Kusses zerstört zu haben – soll also Marie-Thérèse an dieser Stelle weitererzählen. Damals jedenfalls brachte ihr die zärtliche Berührung nur mürrisches Schweigen.
Petrus ließ sich streicheln wie ein Götzenbild. Seine Lippen waren tot, sein Atem am Erlöschen. Schließlich aber sagte er, wohl weil mir wieder der Magen knurrte: »Es wäre schade, hätten wir umsonst eingekauft. Besser, wir begeben uns zu Tisch. Sonst sättigen uns nachher noch die Düfte.«
»Bestimmt nicht«, sagte ich. »Das sind alles Anekdoten. Vertraue dich mir an. Was quält dich? Mir scheint, du bist ein Getriebener, der die Seele hinter den Augen der anderen erforschen möchte, seine eigene jedoch nicht zu sehen wünscht. Jeder Mensch, Petrus, bekommt vom Schicksal seine individuelle Katastrophe verpaßt. Beim einen ist sie größer, beim anderen geringer, mal kommt sie früher, mal später. Was uns beide verbindet ist eine frühe Katastrophe. Darum bin ich Pianistin geworden und du Psychiater und Hypnotiseur. Der Unterschied ist, ich kenne meine Katastrophe nicht, du aber weisst um sie. Andererseits: Ich stelle mich ihr täglich mit dem Klavier, du aber flüchtest. Deswegen kann ich Karriere machen, während dir Geld, Ansehen, EinFluss und auch Liebe versperrt sind.«
»Aber ich liebe dich!«
»Nein, du liebst nur die Marie-Thérèse, die du dir in deinem Geist erschaffst. Du erlebst mich und verwechselst dies mit Liebe. Wenn du mich einmal gehabt hast, wird dein Durst auf mich zur Hälfte gelöscht sein. Irgendwann bin ich für dich nur noch ein blindes Phantom. Und dann ist mein Frühling vorbei und es folgt der Winter.«
Ich wusste nur zu gut, dass meine Worte bitterer Wein waren. Aber ich kam nicht gegen das starke Gefühl von Aufrichtigkeit an, das mich erFasst hatte. Selbst um den Preis, die köstliche erotische Spannung auszulöschen, die uns gerade so süß aneinander gefesselt hatte, glaubte ich, Petrus einen Spiegel vorhalten zu müssen: einen gleichsam magischen Marie-Thérèse-Spiegel, der ihm seine Verstrickungen präsentierte, damit er sie kraft seiner Sensibilität und Intelligenz erkannte und so lange davon erzählte, bis die Knoten seiner Vergangenheit gelöst waren.
Es wurde nichts daraus. Zum Glück ließen sich Petrus` Seelenschatten mit den eingekauften Delikatessen verscheuchen. Ich hatte das Gefühl, dass er froh war, sich damit ablenken zu können. Es war, als sei er dankbar, noch einmal davon gekommen zu sein. Je mehr Austern er schlürfte, um so mehr entspannte er sich, und das frische Fleisch, zu dem der junge Taittinger-Champagner wirklich hervorragend paßte, ließen die Sinnlichkeit unseres Kusses wieder zurückkehren. Allerdings hielt ich ihn auch gut beschäftigt: Petrus musste mir die Häppchen
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