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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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wer von dem, was er sagt, selbst gerührt ist, kann auch andere rühren – diese alte rhetorische Weisheit führte bei Hélène zum Erfolg. Unaufhaltsam versank sie in den eigenen Gefühlen, die ich weiter intensivierte, indem ich geradezu schonungslos mein Begehren schilderte, Marie-Thérèse zu umarmen und zu küssen.
    »Aber nun ist es vorbei!« rief ich plötzlich laut aus. »Mir bleiben nur süße Erinnerungen.«
    Mir kam die Spiegelwand des Fechtbodens in den Sinn. Ich erinnerte mich an mein trauriges Gegenüber. Plötzlich hatte ich den Wunsch, noch einmal vor diese Spiegelgewand zu treten: Wie schön wäre es, dachte ich, wenn du wie bei dir zu Hause auch durch diesen Spiegel treten könntest - diesmal aber mit dem Ergebnis, Geborgenheit und Schutz zu erfahren, so, als ob du einen heiligen, unantastbaren Raum betrittst. Vielleicht würdest du dich auf der anderen Seite des Spiegels beobachten und selbst belauschen können, allein und ungestört und in einem Zustand seliger Erschöpfung. Du würdest dich schmerzlos deinen Erinnerungen überlassen und all die Bilder, Klänge und Düfte an dir vorüberziehen lassen, die dir kostbar sind.
    Wäre dies nicht wirklich Balsam für die Seele?
    Wunsch und Idee flossen ineinander, inspirierten sich gegenseitig. Ob Hélène mich bei diesem Schritt begleiten würde? Was würde sie erblicken und fühlen, wenn ich sie nach ihren schönsten Erinnerungen fragte? Ich entschloss, das schier Unmögliche zu wagen. Hélène, die an meinen Augen hing und darauf wartete, dass etwas geschah, nahm meine Hand. Ich bat sie, sich auf die Spiegelwand des Fechtboden zu konzentrieren und einfach durch sie hindurchzugehen. Sie bezweifelte nicht, dass dies möglich sei, und tatsächlich: Sie schritt mit mir durch die Spiegelwand des Fechtbodens und ließ sich suggerieren, dass sie jetzt in Sicherheit vor den Zugriffen der Menschenwelt sei.
    »Wollen wir unsere Seele nun mit dem Netz unserer Wünsche umgarnen, Hélène? Versuchen wir es. Wir betrachten die Welt, aber aus der Geborgenheit heraus, die uns hinter dem Spiegel zuteil wird. Hier können wir die Befehle aussprechen, die sich unsere Seele wünscht, Befehle, die uns zu unseren Wunschbildern und Erlebnissen führen, die uns unsere persönliche Wahrheit offenbaren.«
    Das Experiment gelang. Indem ich, um Hélène entsprechend zu leiten, von meinem Essen mit Marie-Thérèse erzählte, brachte ich sie dazu, sich zu erinnern. Nach einer Weile begann sie zu berichten, wie Bernard ihr einmal die Zeit vertrieben hatte, indem er sie Dutzende Sorten von Senf hatte probieren lassen. Hélène seufzte genießerisch und tat, als schmecke sie jede Senfsorte. Und weil sie ihrem Spiegel-Ich zuschaute, wie Bernard es mit Weißbrotecken neckte, schnellte sogar ihr Kopf einige Male vor.
    »Sie haben Senf probiert, Hélène, ich aber möchte jetzt erleben, wie ich meiner Marie-Thérèse über Hals und Haar schnüffele!«
    Ich war mir sicher, fest und klar gesprochen zu haben, doch meine Stimme erreichte mich wie aus weiter Ferne: Kaum, dass ich begriffen hatte, mich mit meinem Begehren selbst in Rapport versetzt zu haben, fand ich mich hinter der Spiegelwand des Comtes wieder und schaute von ihr aus in die wirkliche Welt, mithin den Fechtboden mit seinen Gobelins, Degen, Säbeln und Streitäxten. So phantastisch diese Erkenntnis war, ich fühlte mich dennoch als Herr der Lage. Was bedeutete: Auch im Rapport war ich bestrebt, Hélène neue Geheimnisse zu entlocken. Ich war zuversichtlich. Die Ansprache des Geschmackssinns hatte ergeben, dass Hélène in einer Gegend gefangengehalten worden war, wo Senf eine große Rolle spielte. Was wohl würde sie preisgeben, wenn ich sie in die Gefilde der Düfte führte?
    Da mein Wunsch, Marie-Thérèse heraufzubeschwören, Gestalt angenommen hatte, fiel es mir leicht, mich an ihre Nacktheit, den Duft ihrer Haut, ihres Haares, ihres Parfüms zu erinnern. Ich roch sie so deutlich, als säße sie auf meinem Schoß. Ich beschrieb den Genuß meiner Sinne und hörte bald Hélène erzählen, Bernard trage verräucherte Kleidung und seinem Haar entströme ein süßer und staubiger Geruch nach Kohle. So sehr ich auch meine eigene Suggestion genoß, ich war mir bewußt, dass ich mein Ziel erreicht hatte. Deutlich nahm ich wahr, wie Albert Joffe Seite um Seite seines Notizblockes füllte und der Comte und Daniel Roland sich einmal das Wort Burgund zuflüsterten. In der Tat schienen die Gerüche, an die Hélène sich erinnerte,

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