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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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sie besonders irritiert zu haben: Sie sprach von Essig- und Schwefelausdünstungen, später dann erinnerte sie sich an Geräusche von Schmieden und Glocken.
    Die Minuten verstrichen wie in einem Rausch, bis ich es wagte, Juliette vor die Spiegelwand zu beschwören. Tatsächlich sah ich ihre Umrisse, aber je mehr sie zur Gestalt wurden, um so leerer fühlte ich mich. Es war, als ob sie sich meinem Geist versperrte und er mir nur erlaubte, eine fade Hülle von ihr zu sehen. Im Gegenzug aber spürte ich, wie die Angst immer größeren Besitz von mir nahm. Sie kroch vom Bauch in die Brust, griff auf mein Herz über und begann, mich zu würgen.
    Denk an dein Ziel, begehrte ich auf. Du bist noch nicht so weit. Laß Juliette los, denk an Hélène!
    So seltsam es war, ihr Silberblick beruhigte mich. Ich dachte wieder an Marie-Thérèse, ihren nackten Leib und wie wir uns geküßt hatten.
    »Hélène, warum küssen Sie Bernard nicht? Vergessen Sie nicht, wir sind hinter der Spiegelwand, nichts und niemand kann uns etwas anhaben. Wir haben selbst die Macht, Lazarus von den Toten auferstehen zu lassen, wenn wir nur gute Erinnerungen an unsere Lieben haben. Aber natürlich sind uns die Lebenden näher. Darum küsse ich jetzt meine Marie-Thérèse, und zwar mit der Leidenschaft des Prinzen, dem prophezeit wurde, dass er eines Tages Dornröschen mit seinen Zärtlichkeiten für sich gewinnen wird.«
    Hélène erlag der Intensität dieser Imagination völlig. Sie stemmte sich hoch und streckte den Kopf vor, als stünde Bernard leibhaftig vor ihr. Für einen Augenblick öffnete sie die Augen und breitete wie eine Schlafwandlerin die Arme aus. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, auf wundersame Weise verschwand sogar ihr Silberblick. Als habe die Suggestion, Bernard vor sich zu haben, diesen Fehler korrigiert, erhielt ihr Gesicht jene Anmut, welche die Natur ihrem ganzen Körper verwehrt hatte, die in ihrer Seele jedoch verborgen lag. Mit einemmal trat das Mädchen, das zu lang und schlank war, hinter seiner Ausstrahlung zurück. Ich war mir sicher, in diesem Zustand hätte sich für sie ein Mann finden lassen – ein Mann, den sie genauso leidenschaftlich hätte küssen können wie jetzt ihren einstigen Entführer Bernard.
    Und nun, da ihre Seele strahlte, brach sich ihre fleischliche Lust Bahn. Es war ein langer und intensiver Kuß, dem sie sich hingab. Mund und Gesicht mahlten hingebungsvoll. Irgendwann begann sie in einer Art zu seufzen, die verriet, dass Bernard noch andere Regionen ihres Körpers in Aufruhr gebracht hatte. Die Inszenierung verlangte dem Comte ein hohes Maß an Duldsamkeit ab, denn Hélènes Gebaren entwickelte sich so schaurig wie demütigend. Ich spürte, dass er nahe daran war, sich auf seine Tochter zu stürzen, um sie zur Vernunft zu bringen, doch da begann sie, Liebesschwüre zu flüstern. Sie versprach Bernard, ihm auch in den Tod zu folgen, sollte es für sie beide keine andere Möglichkeit geben – und nun fielen endlich jene entscheidenden Worte, die eine wirkliche Spur darstellten.
    »Aber erst müssen wir uns das Ja-Wort geben. Schaffe einen Priester herbei, der uns heimlich in deiner Kirche vor Lazarus’ Reliquien traut. Dann gehöre ich dir ganz.« Noch im gleichen Augenblick änderte sich Hélènes Stimmung: Enttäuscht sank sie zurück, das Gesicht grau vor Gram, entseelt, aller Illusionen beraubt. Die Wahrheit kam ans Licht. Auf meine Frage, was geschehen sei, gestand sie, Bernard sei so grausam gewesen, ihr den Wunsch einer heimlichen Trauung abzuschlagen: »Er gab sich noch nicht einmal die Mühe, mich auf später zu vertrösten.«
    Hélènes Enttäuschung brach durch. Die scheinbare Geborgenheit hinter der Spiegelwand half nun nicht mehr: Bernards Nein klang mit solch furchtbarer Gewalt in ihrer Seele nach, dass sie aufschrie und wie eine leblose Puppe von der Chaiselongue rutschte. Ich selbst hatte das Gefühl, durch ein Sieb voller Glassplitter zu fliegen, glaubte, an der Nahtstelle von Spiegel- und Menschenwelt in tausend Teile zerschnitten zu werden. Für Sekunden schmolzen die Gesichter Marie-Thérèses und Hélènes zu einem einzigen zusammen, doch schon im nächsten Augenblick zerfiel alles, und ich fühlte nur noch meine traurigen, brennenden Augen. Mein Nacken war völlig verkrampft, meine Beine schmerzten. Ich bat um ein Glas Wasser und hielt mir die Ohren zu, als der Comte, Daniel Roland und Albert Joffe mich für meine Leistung beglückwünschten.
    Hélène aber weinte. Ihr Leib

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