Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
welcher Casus dem Comte und der Polizei Probleme bereitete.
»Gräfin, sind Sie sich gewiß«, fragte ich sacht, »dass Bernard, dem Sie beliebten, ihr Herz zu schenken, auch Sie liebt?«
»Deswegen hat er mich doch entführt!« wisperte Hélène. »Nie werde ich diese Stunde vergessen, da mich der warme Zephirhauch lockte, in den Bois de Vincennes zu fahren. Ich saß in meinem offenen Wagen, fuhr in Richtung des Schlosses, da preschte er auf einem Rappen heran. Er warf mir ein Blumenbukett in den Schoß und stürmte im Galopp davon. Ich war wie benommen, aber da entdeckte ich seinen Brief, las ihn ... Kurz vor dem Schloss überraschte er mich ein zweites Mal und setzte seinen Plan um: Er spielte für mich den Chauffeur, während er meinem Kutscher befahl, seinen Rappen hierher nach Haus zu reiten. Was er mir alles erzählte! Er hatte mich die ganze Spielzeit über in der Oper im Auge gehabt, war mir auf Schritt und Tritt gefolgt und hatte ein halbes Jahr lang gebraucht, den Mut zu finden, dieses Rendezvous zu erzwingen.«
Hélène schwieg und schloss die Augen. Offensichtlich hatte sie bislang noch nichts von den Umständen ihrer Entführung erzählt, denn Albert Joffe machte sich eifrig Notizen. Ich spürte den Blick des Comtes auf mir ruhen und ahnte, was er sich erhoffte: Dass ich Hélène hypnotisierte, damit sie den oder die Entführer verriet und endlich das Lösegeld gefunden werden konnte. An seiner Miene erkannte ich, dass ihn nichts so sehr belastete wie die Vorstellung, die restlichen Tage seines Lebens als mittelloser Mann verbringen zu müssen. Aber war die Comtesse überhaupt suggestibel? Auch wenn sie es war, gegen ihren Willen konnte ich nichts ausrichten. Selbst in tiefer Trance würde Hélène den wirklich wichtigen Fragen ausweichen und den Rapport von sich aus beenden.
Angestrengt suchte ich nach einer Lösung. Der Fall lag ebenso offen vor mir, wie er schwierig zu lösen war: Bernard hatte sich mit der Comtesse de Carnoth ein willig und leicht zu steuerndes Opfer ausgesucht, denn er hatte Hélène mit der stärksten Waffe hypnotisiert, die es auf der Welt gab: dem Schwur, sie zu lieben. Es gab also nur einen Weg: Hélène musste erkennen, dass ihre Sehnsucht nach einem Geliebten allein Mittel zum Zweck gewesen war und sie bis zum Sankt Nimmerleinstag auf ihren Märchenprinzen Bernard würde warten können.
Vielleicht waren ihr bereits erste Zweifel gekommen. Mir schien, dass die Comtesse gerade jene Stufe einer Treppe erreicht hatte, von der aus es nach oben und unten gleich weit war. Ihr Schweigen war wie das Atemholen vor der Entscheidung, diese Treppe weiter hoch oder aber wieder herabzusteigen. Falls sie sich entschlösse, wieder umzukehren, war dieser Kampf zwischen Wahrheit und Sehnsucht zwar nicht verloren, doch ich wusste, dass in diesem Fall etliche Tage oder sogar Wochen verstreichen mussten, bis Hélène wieder dieselbe Stufe betreten haben würde. Aber genau diese Zeit hatte der Comte nicht mehr. War das Lösegeld bis Ende des Jahres nicht gefunden, würde er Bankier Boissieu gegenübertreten müssen und sagen: Was ich habe, gehört ab heute alles Ihnen.
Ohne einen Plan zu haben, gebot ich Roland und Joffe, sich so weit wie möglich im Hintergrund zu halten. Darauf nahm ich den nächstbesten Stuhl, stellte ihn ans Fußende der Chaiselongue und setzte mich. Hélène tat, als würde sie schlafen, aber ihr unregelmäßiger Atem verriet sie. Leise begann ich zu sprechen - von meiner Schwester, meinem Hass auf den Abbé und dass ich erst eine Flasche ins Genick bekommen musste, um meine Verblendung zu erkennen.
»Ihnen erzähle ich die Wahrheit, Hélène. Selbst Ihrem Herrn Vater schwindelte ich gerade noch etwas vor. Nicht wahr, Graf?«
»Das ist wahr, mein Kind.«
»Meine Liebe zu Marie-Thérèse, Gräfin, habe ich damit leichtfertig und unsinnig zerstört. Ich erzähle es Ihnen, weil ich den Schmerz, den ich empfinde, mit dem Ihren gleichsetze. Was ist Marie-Thérèse für mich? Dasselbe wie Bernard für Sie: Ihr und sein Lächeln sind für uns wie ein strahlendes Netz. Einmal ausgeworfen, verfingen sich Ihre und meine Seele darin, und nun zappeln wir in den holden Maschen wie zwei unglückliche Fische.«
»Das ist schön« sagte Hélène und schlug die Augen auf.
Anfangs zweifelte ich, ob ich einen solchen Silberblick würde besiegen können. Doch meine Worte und das schlichte Eingeständnis meiner eigenen Gefühle besaßen genauso viel Kraft wie mein suggestiver Blick. Nur
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