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Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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zuckte, als würde er gepeitscht. Mich ergriff das bittere Gefühl, meine Gabe wieder einmal falsch eingesetzt zu haben.
    Bernard wurde am Heiligabend im burgundischen Autun in der Kirche des Heiligen Lazarus festgenommen. Er gestand sofort und führte die Polizei in das verlassene Weingut in der Umgebung von Le Creusot, wo seit der Mitte des letzten Jahrhunderts die Schwerindustrie mit Hochöfen und Schmiedewerken blühte. Bernard, den sie in Le Creusot „Graf Koks“ nannten, hatte zwei Helfer, die gerade beim Geldzählen waren. Von der erpreßten Million fehlten nur fünfzehnhundert Franc.
    Um mein schlechtes Gewissen zu lindern, schrieb ich an den Justizminster und bat für Bernard und seine Spießgesellen um eine milde Strafe. Leider bekam ich nie eine Antwort. Monate später erzählte mir Daniel Roland, dass Bernard auf einen der ostafrikanischen Stützpunkte deportiert worden war: zwölf Jahre Madagaskar.

13.
    Je mehr Tage vergingen, um so lächerlicher erschien mir mein Einfall, Hélène hinter eine Spiegelwand gelockt zu haben. Auch wenn dem Comte mein Erfolg fünfzigtausend Franc wert war, bekam ich buchstäblich einen schlechten Geschmack im Mund, wenn ich mich daran erinnerte. Mein Appetit nahm stetig ab, und eines Tages war es dann soweit: Statt Wein glaubte ich Sherry im Glas zu haben, und mein geliebter provençalischer Bohneneintopf schmeckte auf einmal nur noch nach Essig und Öl. Als ich am nächsten Mittag, einem bleigrauen Januartag, die Haustreppe in der Rue Monge zu meiner Wohnung hochstapfte, den Korb voller Feldsalat, Rübchen und einem mit Rosmarinzweigen umwickelten Kaninchen, fühlte ich den Ekel so stark in mir, dass ich mir einbildete, diese Treppe nicht weiter hochsteigen zu können. Ich kehrte um und ging, ohne weiter zu überlegen, in Richtung Rue de Babylone. Vor dem Haus der Familie Bonet blieb ich stehen, trat in das Ladengeschäft und rief dem überschwenglich grüßenden Monsieur Bonet zu, heute sei ich es, der nicht mehr essen wolle.
    Ich händigte einer der Angestellten den Korb aus und ließ mich von Monsieur Bonet umarmen. Im selben Moment allerdings begann mein Magen zu knurren, mehr noch: Die appetitlichen Wurstauslagen und der Duft geräucherter Hühner ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
    »Ich korrigiere mich, Monsieur Bonet. Ich mag nur nicht allein essen. Vielleicht habe ich aber auch nur keine Lust zu kochen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich schenke Ihnen diesen Korb und Sie treten mir dafür ein Paar dieser wunderbar braunen und knusprig schimmernden Poularden-Schlegel ab.«
    »Wir kochen sie vor, braten sie an und dann erst kommen sie in den Rauch. ‚Bonets Schenkelchen’ heißen sie in unserem Arrondissement. Ich packe Ihnen zwei in den Korb für die Nacht, doch jetzt gehen Sie hoch zu Marie und lassen sich bekochen. Darauf bestehe ich.«
    Monsieur Bonet zog an einer Klingelschnur und geleitete mich durch den Laden zur Hintertreppe.
    »Wieder eine Treppe!« rief ich aus, als sei mit dieser banalen Einsicht eine mittelschwere Katastrophe verbunden.
    »Und was für eine!« antwortete Monsieur Bonet stolz. »Die Stufen sind aus fünfhundert Jahre altem Sparrenholz und die Geländerstäbe von einer spanischen Karavelle. Sicher, das ist keine Palais-Treppe, aber diese herrlichen Spiralen sind nicht weniger hochmütig und vor allem: Dieses Kunstwerk ist verschwiegen! Es ist die einzige Holztreppe in ganz Paris, die nicht knarrt oder ächzt.«
    »Eine echte Wundertreppe also«, stellte ich lakonisch fest und befand selbstironisch, dass diese eng geschraubte Treppe wunderbar meinem momentanen Gemütszustand entsprach. Der Unterschied zu ihr bestand einzig darin, dass ich nicht stumm sein, sondern so vernehmlich wie möglich ächzen wollte. Nur deswegen hatte mich mein Instinkt hierher, in die Rue de Babylone geleitet. Ich musste mich aussprechen, erhoffte mir Rat und ich wusste, nur Marie Bonet würde mir helfen können.
    Sie war glücklicherweise nicht minder erfreut, mich zu sehen, denn schon länger hatte ich sie nicht mehr besucht. Monsieur Bonet indes bewies einmal mehr, wie sensibel und klug er war. Ohne viel Worte zu machen, schickte er seine Frau in die Küche und rief ihr hinterher, er verbiete es, dass sie mich heute als Psychiater beanspruche.
    »Heute musst du für ihn da sein. Mach also schön etwas zu essen, mein Reh, und dann wirst du ihm zuhören.«
    Ich überließ mich guten Gewissens Monsieur Bonets Gastfreundschaft. Warum sollte ich

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