Der Hypnotiseur: Historischer Roman (German Edition)
Pulsader spritzte, machte ihr nichts aus, schließlich tat es nicht weh, denn dafür war der Schnitt ja viel zu wenig tief gewesen. Wie wohl sie sich gefühlt haben wird. Ich kann es mir gut vorstellen, Ich bilde mir ein, was sie sich gewünscht haben wird, wie sie es sich wünschte und wie erregend es für sie war, so geküßt und geliebt zu werden. Irgendwann wird sie vor Wonne zu schweben begonnen haben, und das weiße Licht, auf das sie zuflog, wird immer intensiver geworden sein. Noch heute scheint es mir, als wenn ich sie rufen höre: „Petrus, es ist so schön!“
Benommen, den Suppenlöffel in der Hand, schaute ich um mich und in Marie Bonets große schüchterne Rehaugen.
»Schmeckt es Ihnen?«
»Vorzüglich«, mumelte ich. »Marie, Sie kochen die beste Bouillon Frankreichs …«
Ich spürte mein Herz schlagen, draußen lärmten die Glocken. Dies hier ist die Wirklichkeit, beruhigte ich mich und machte mich über den Eintopf mit den Würsten her, trank meinen Wein, verleibte mir Apfelkompott und Kuchen ein. Hélènes vermeintliche Stimme war verstummt und störte mich kein zweites Mal. Marie Bonet aber war geradezu redselig. Zufrieden, dass es mir so gut schmeckte, verriet sie, sich einen Star kaufen zu wollen. Zum einen, um ein bisschen Unterhaltung zu haben, zum anderen um sich in Fürsorgepflichten zu üben.
»Wissen Sie, da sah ich vor kurzem eine Straßenhändlerin. Sie hatte einen Käfig mit einer Meise, einem Rotkehlchen und Spatzen auf dem Rücken und in der Hand einen Korb mit kleinen weißen Nelken. ‚Die Vöglein, denkt doch an die Vögel!’ rief sie, zog durch die Straßen und ihr Singsang ging im Straßenlärm nicht unter, so leise er auch war. Es war wie ein Wunder! Auf dem Markt, da schrien die Gemüsehökerinnen und die Roßschlachter um die Wette, aber sie mit ihrem Singsang flötete, dass es jeder hörte: ‚Die Vöglein, denkt doch an die Vögel!’ Für mich war es wie das Seufzen aus einer anderen Welt, ich war wie verzaubert. Kaum dass ich mich erinnere, wie ich ihr wenige Sous in die Hand drückte - aber dann, Petrus, mit welcher Grazie diese Händlerin mir mit ihren ausgezehrten Fingern einen kleinen Strauß band und andächtig überreichte: Das war stillstehende Zeit und übermenschliche Gelassenheit, vollkommener, als ein Gebet es sein kann.«
»Und was war mit den Vögeln?« fragte ich.
»Die waren ihre Dämonen.«
»Dämonen?«
Ein silbriges Löffelklirren untermalte mein Nachfragen. Auch wenn ich mich auf Marie Bonets blühende Phantasie eingestellt hatte, gewöhnliche Stare als Dämonen zu bezeichnen – war das etwa ein Anzeichen dafür, dass Maries Geist sich wieder umwölkte? Brauchte sie Hilfe? Plötzlich war ich hellwach. Besorgt griff ich nach ihrer Hand und blickte ihr fest in die Augen. Sie selbst schien sich nicht sicher, ob sie das richtige Wort gefunden hatte. Die Stirn leicht kraus, schaute sie konzentriert über mich hinweg, als könne sie in ein paar Augenblicken des Innehaltens erfühlen, ob sie nun Unsinn gesagt hatte oder nicht.
»Nein«, sagte sie schließlich und entzog mir ihre Hand, »es ist stimmig, was ich meine. Sie brauchen keine Befürchtungen zu hegen, ich sei wieder reif für die Salpêtrière.«
»Aber Marie …«
»Versuchen Sie wenigstens, mich zu verstehen, Petrus. Die Vögel, das vergaß ich zu sagen, waren gar nicht dazu bestimmt, verkauft zu werden. Wissen Sie warum? Weil sie Dämonen sind, gleichsam gefiederte Seelen, welche die Händlerin am Leben halten. Die Meise steht für den Dämon, sich überall aufhalten zu können, das Rotkehlchen ist der Dämon für Einzelgängertum und melodischen Singsang, der Spatz steht für die Demut, von den Brosamen der Stadt zu leben.«
»Das ist eine sehr schöne Interpretation, Marie …«
»Und ob! Sie ist sogar würdig ins Schatzkästlein meiner Ausflüge aufgenommen zu werden. Dass ich mir jetzt einen Star ins Haus holen möchte, hat sicher ein wenig mit diesem Erlebnis zu tun. Ich tu`s, weil ich glaube, mich dann auf meine Art mit jemandem unterhalten zu können. Und wenn Gott es diesmal zulässt … der oder die Kleine hat dann gleich etwas Hübsches zu belauschen.«
»Soll das heißen, Sie sind in anderen Umständen?«
»Ich weiß kaum, wie es passiert ist«, bekannte Marie Bonet freimütig. »Vor sechs Wochen, da kam er nachmittags hier herein und sagte: ‚Mein Schatz, ich möchte aber doch ein Kind haben. Aber wie, wenn … ‚ – ‚Weisst du´s etwa nicht mehr?’ unterbrach
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