Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
Luft ist trocken und sehr kalt. Ein paar Schulkinder gehen Hand in Hand. Ein Fahrradfahrer überquert die Kreuzung zwischen den Autos. Kennet bleibt an einer Fußgängerampel stehen und drückt auf den Knopf. Er hat das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, etwas Entscheidendes gesehen zu haben, ohne es deuten zu können. Er trinkt durch die Öffnung im Plastikdeckel ein wenig Kaffee und betrachtet eine Frau, die auf der anderen Straßenseite mit einem zitternden Hund an der Leine wartet. Ein Lastwagen fährt dicht vor Kennet vorbei, und der Erdboden bebt unter seinem Gewicht. Er hört ein kicherndes Lachen und denkt noch kurz, dass es gekünstelt klingt, ehe ihm jemand einen festen Stoß in den Rücken versetzt. Er stolpert ein paar Schritte auf die Straße hinaus, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, dreht sich um und sieht ein zehnjähriges Mädchen, das ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. Sie muss mich gestoßen haben, schießt es ihm durch den Kopf, hier ist sonst niemand. Im selben Moment hört er die Bremsen eines Autos kreischen und spürt, wie ihn etwas mit unglaublicher Wucht erfasst. Ein riesiger Vorschlaghammer schlägt seine Beine weg. Es knirscht kurz im Nacken, und im nächsten Moment ist sein Körper nur noch weich und fern und im freien Fall und in plötzlicher Dunkelheit.
33.
Montagnachmittag, der vierzehnte Dezember
Erik Maria Bark sitzt am Schreibtisch seines Arbeitszimmers. Durch das Fenster zum menschenleeren Innenhof des Krankenhauses fällt bleiches Licht herein. In einer Plastikverpackung mit Deckel liegen die Reste eines Salats. Neben der Tischlampe mit ihrem rosa Schirm steht eine Zweiliterflasche Coca-Cola. Er betrachtet den Ausdruck des Fotos, das Aida Benjamin geschickt hat: In der nächtlichen Dunkelheit formt das gleißende Blitzlicht einen hell erleuchteten Raum aus wildwüchsigem Gras, einer Hecke und der Rückseite eines Zauns. Obwohl er so nahe herangeht, wie es nur geht, erschließt sich ihm nicht, was das Bild eigentlich zeigen will, was sein Objekt ist. Er hält sich die Aufnahme dicht vor die Augen und versucht zu verstehen, ob etwas in dem Laubkorb aus Plastik liegt.
Erik überlegt, Simone anzurufen und sie zu bitten, ihm den genauen Wortlaut der Mail vorzulesen, damit er exakt weiß, was Aida Benjamin geschrieben hat und wie Benjamins Antwort lautete, sagt sich dann jedoch, dass er es Simone ersparen sollte, mit ihm zu reden. Er begreift nicht, wie er so boshaft sein konnte, ihr gegenüber zu behaupten, dass er ein Verhältnis mit Daniella hat. Vielleicht hat er es nur getan, weil er sich danach sehnt, dass sie ihm verzeiht, und weil sie immer so schnell bereit ist, ihm zu misstrauen.
Plötzlich hört er in Gedanken wieder Benjamins Stimme bei seinem Anruf aus dem Kofferraum und wie er versucht hat, erwachsen zu sein, nicht ängstlich zu klingen. Erik nimmt eine rosa Kapsel Citodon aus seiner hölzernen Schatulle und schluckt sie mit kaltem Kaffee. Seine Hand zittert so stark, dass er Mühe hat, die Tasse wieder auf der Untertasse abzustellen.
Eingesperrt in der Dunkelheit eines Kofferraums muss Benjamin sich schrecklich gefürchtet haben, denkt Erik. Er wollte meine Stimme hören, wusste nichts, nicht, wer ihn entführt hat oder wohin er unterwegs war.
Wie lange mag Kennet brauchen, um das Gespräch orten zu lassen? Erik ärgert sich darüber, dass er diese Aufgabe abgegeben hat, sagt sich aber, wenn sein Schwiegervater Benjamin finden kann, ist alles andere bedeutungslos.
Erik legt die Hand auf den Hörer. Er muss die Polizei anrufen und sie antreiben. Er muss hören, ob sie vorankommen, ob sie das Gespräch schon orten konnten, ob sie einen Verdächtigen haben. Als er anruft und sein Anliegen erläutert, wird er zunächst falsch verbunden und muss noch einmal anrufen. Er hofft, mit Joona Linna sprechen zu können, wird jedoch mit einem Polizeimeister namens Fredrik Stensund verbunden. Der Beamte bestätigt, dass er die Ermittlungen zu Benjamin Barks Verschwinden leitet. Der Polizeimeister ist sehr verständnisvoll und erklärt, er habe selbst Kinder im Teenageralter:
»Wenn sie ausgehen, macht man sich die ganze Zeit Sorgen, obwohl man weiß, dass man sie ziehen lassen muss, aber …«
»Benjamin ist nicht in der Disco«, sagt Erik mit Nachdruck.
»Nein, es liegen in der Tat gewisse Informationen vor, die dagegen sprechen, dass …«
»Er ist gekidnappt worden«, unterbricht Erik ihn.
»Ich verstehe, wie Sie sich
Weitere Kostenlose Bücher