Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
fühlen müssen, aber …«
»Für Sie hat die Suche nach Benjamin nicht oberste Priorität«, ergänzt Erik.
Es wird still, und der Polizeimeister atmet mehrmals tief durch, ehe er erneut das Wort ergreift:
»Ich nehme ernst, was Sie sagen, und kann Ihnen versichern, dass wir alles tun, was in unserer Macht steht.«
»Dann orten Sie das Telefonat«, sagt Erik.
»Wir sind dabei«, erwidert Stensund in einem förmlicheren Ton.
»Bitte«, sagt Erik abschließend ganz schwach.
Er bleibt mit dem Hörer in der Hand sitzen. Sie müssen das Gespräch zurückverfolgen, denkt er. Wir müssen einen Ort bekommen, einen Kreis auf einer Landkarte, eine Richtung, es ist der einzige Hinweis, den wir haben. Ansonsten hat Benjamin nur erzählt, dass er eine Stimme gehört hat.
Wie unter einer Decke, denkt Erik, ist sich aber nicht sicher, ob er sich richtig erinnert. Hat Benjamin wirklich gesagt, dass er eine Stimme gehört hat, eine dumpfe Stimme? Vielleicht war es auch nur ein Murmeln, ein Laut, der an eine Stimme erinnerte, keine Worte, keine Bedeutungen. Erik streicht sich über den Mund, betrachtet die Fotografie und fragt sich, ob in dem hohen Gras etwas liegt, kann aber nichts sehen. Als er sich zurücklehnt und die Augen schließt, bleibt das Bild auf seiner Netzhaut zurück: Die Hecke und der braune Zaun blitzen rosa auf, und der gelbgrüne Hügel ist dunkelblau und driftet langsam ab. Wie ein Stück Stoff vor einem Nachthimmel, denkt Erik und erinnert sich im selben Moment, dass Benjamin etwas über ein Haus, ein verwunschenes Schloss gesagt hat.
Er öffnet die Augen und steht auf. Die gedämpfte Stimme hat etwas über ein verwunschenes Schloss gesagt. Damit könnte vielleicht auch eine dieser halb verfallenen Holzvillen gemeint sein. Er erinnert sich an eine, die er einmal nördlich von Stockholm, in der Nähe von Rosersberg gesehen hat. Er denkt blitzschnell: Eds kyrka, Runby, durch die Allee, über die Anhöhe, an der alternativen Kommune vorbei, zum Mälarsee hinunter. Bevor man zu der Schiffssetzung bei Runsa borg kommt, liegt das Gebäude auf der linken Seite, Richtung Wasser. Eine Art komprimiertes Gutshaus aus Holz, mit Türmchen, Terrassen und einer Menge verschnörkelter Holzschnitzereien. Erik verlässt sein Zimmer, eilt im Laufschritt den Flur hinunter, versucht, sich den Ausflug zu vergegenwärtigen, und erinnert sich, dass Benjamin mit ihm im Auto saß. Sie hatten sich die Schiffssetzung angesehen, eines der größten Wikingergräber Schwedens, hatten mitten in der Ellipse aus großen Findlingen im Gras gestanden. Es war Spätsommer und sehr warm gewesen. Erik entsinnt sich der stehenden Luft und der Schmetterlinge über dem Kies auf dem Parkplatz, als sie sich in das heiße Auto setzten und mit herabgekurbelten Fenstern zurückfuhren. Im Aufzug fällt Erik ein, dass er nach ein paar Kilometern am Straßenrand gehalten, auf die Holzvilla gezeigt und Benjamin scherzhaft gefragt hatte, ob er sich vorstellen könnte, dort zu wohnen.
»Wo meinst du?«
»Na, in dem verwunschenen Schloss dort«, hatte er gesagt, weiß aber nicht mehr, wie Benjamins Antwort lautete.
Jetzt sinkt die Sonne immer tiefer, ihre schrägen Strahlen funkeln im Eis der Wasserpfützen auf dem Parkplatz der Neurologie. Als er Richtung Haupteingang abbiegt, knirscht unter den Autoreifen der Splitt auf dem Asphalt.
Erik ist natürlich klar, wie unwahrscheinlich es ist, dass Benjamin ausgerechnet dieses verwunschene Schloss gemeint hat, aber völlig ausschließen lässt es sich nicht. Er fährt auf der E 4 nach Norden, während das vergehende Licht die Welt eintrübt. Er kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Erst als die Blautöne auftauchen, begreift sein Gehirn, dass es tatsächlich dämmert.
Eine halbe Stunde später nähert er sich dem verwunschenen Schloss. Vier Mal hat er versucht, Kennet zu erreichen, um zu erfahren, ob es ihm gelungen ist, Benjamins Telefonat zu orten, aber er hat sich nicht gemeldet, und Erik hat auch keine Nachricht hinterlassen.
Der Himmel über dem großen See behält einen schwachen Lichtschein, wogegen der Wald vollkommen schwarz ist. Langsam fährt er auf der schmalen Straße in das kleine Dorf hinein, das im Laufe der Jahre am Wasser entstanden ist. Die Scheinwerfer des Wagens schwenken über neu gebaute Häuser, Holzvillen der Jahrhundertwende und kleine Sommerhäuser, blitzen in ein paar Fenstern auf und schweifen über eine Auffahrt mit einem Dreirad. Er bremst und sieht das
Weitere Kostenlose Bücher