Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören

Titel: Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
Vom Netzwerk:
wurde in einen gemeinsamen Heilungsprozess verwandelt.
    Ich schraubte die Kamera auf dem Stativ fest, legte eine neue Videokassette ein, zoomte auf einen Stuhlrücken, stellte scharf und zoomte anschließend wieder zurück. Währenddessen betrat eine meiner Patientinnen den Raum. Es war Sibel. Ich nahm an, dass sie seit einigen Stunden vor dem Krankenhaus darauf gewartet hatte, dass die Sitzung beginnen würde. Sie setzte sich und produzierte seltsame Laute in ihrer Kehle, schluckende, glucksende Geräusche. Mit einem unzufriedenen Lächeln zupfte sie ihre große blond gelockte Perücke zurecht, die sie bei unseren Treffen immer trug, und seufzte anschließend vor Anstrengung.
    Charlotte Cederskiöld trat ein. Sie trug einen dunkelblauen Trenchcoat, der um die schmale Taille mit einer breiten Schärpe zugebunden war. Als sie ihre Mütze absetzte, fielen ihre dichten kastanienbraunen Haare herab. Sie war wie immer ungeheuer traurig und schön.
    Ich ging zum Fenster, öffnete es und spürte, wie mir der frische, sanfte Frühlingswind ins Gesicht wehte.
    Als ich mich wieder dem Raum zuwandte, war auch Jussi Persson gekommen.
    »Herr Doktor«, sagte er in seinem bedächtigen nordschwe­dischen Tonfall.
    Er gab mir die Hand, begrüßte Sibel, schlug sich auf seinen Bierbauch und machte eine Bemerkung, die sie erröten und kichern ließ. Die beiden plauderten leise miteinander, während die übrigen Gruppenmitglieder eintrafen, Lydia, Pierre und schließlich Marek, der wie üblich etwas zu spät kam.
    Ich rührte mich nicht von der Stelle und wartete darauf, dass sie bereit sein würden. Sie hatten eins gemeinsam: traumatisierende Übergriffe. Die traumatischen Erlebnisse hatten in ihren Psychen eine derart zerstörerische Wirkung entfaltet, dass sie, um weiterleben zu können, den Übergriff vor sich selbst verborgen hatten. Keiner von ihnen wusste, was wirklich passiert war, ihnen war lediglich bewusst, dass etwas Schreckliches in ihrer Vergangenheit ihr Leben zerstörte.
    Denn die Vergangenheit ist nicht tot, die Vergangenheit ist nicht einmal vergangen, pflegte ich den Schriftsteller William Faulkner zu zitieren. Ich meinte damit, dass alles, was ein Mensch erlebt hatte, ihn in der Gegenwart begleitete. Jedes Erlebnis beeinflusste jede Entscheidung – und wenn es um traumatische Erlebnisse ging, nahm die Vergangenheit in der Gegenwart fast allen Raum ein.
    Meistens hypnotisierte ich die ganze Gruppe gleichzeitig und wählte anschließend einen oder zwei von ihnen aus, mit denen ich weiter ging als mit den anderen. So hatten wir laufend Zugang zu zwei Ebenen, auf denen wir diskutieren konnten, was geschehen war: die Ebene der Hypnosesuggestion und die Ebene des Bewusstseins.
    Ich hatte in der Hypnose etwas entdeckt. Erst war es nur eine Ahnung gewesen, die sich jedoch nach und nach zu einem immer deutlicher erkennbaren Muster entwickelte. Es war eine Entdeckung, die natürlich erst noch bewiesen werden musste. Mir war bewusst, dass ich mir von meiner These möglicherweise zu viel erhoffte: Der Täter des entscheidenden Traumas trat in der Tiefenhypnose nie als er selbst auf. Es war möglich, die entscheidende Situation zu finden und den erschreckenden Ablauf zu betrachten, doch der Täter blieb im Verborgenen.
    Mittlerweile saßen alle auf ihren Plätzen, meine neue Patientin, Eva Blau, war jedoch noch nicht gekommen. Eine vertraute Unruhe verbreitete sich in der Gruppe.
    Charlotte Cederskiöld saß immer am weitesten entfernt. Sie hatte ihren Mantel ausgezogen und war wie üblich ausgesprochen elegant gekleidet, trug eine dezente, graue Kombination aus Pullover und Strickjacke und eine breite, schimmernde Perlenkette um ihren schlanken Hals. Sie hatte einen dunkelblauen Faltenrock und eine enge dunkle Strumpfhose an. Ihre Schuhe glänzten und waren flach. Als unsere Blicke sich begegneten, lächelte sie mich schüchtern an. Als ich Charlotte in meine Gruppe aufnahm, hatte sie fünfzehn Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Bei ihrem letzten Versuch hatte sie sich mit dem Elchstutzen ihres Mannes mitten im Salon ihrer Villa auf Djursholm in den Kopf geschossen. Das Gewehr war abgerutscht, und sie hatte ein Ohr und ein Stück Wange verloren, wovon man aber nichts mehr sah: Sie hatte mehrere chirurgische Eingriffe hinter sich und trug ihre Haare in einer glatten, dichten Pagenfrisur, die ihre Ohrenprothese und das Hörgerät verbarg.
    Wenn ich Charlotte den Kopf schief legen und höflich und respektvoll den

Weitere Kostenlose Bücher