Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
Geschichten der anderen lauschen sah, wurde mir vor Sorge immer ganz kalt. Eine schön gealterte Frau. Attraktiv, obwohl sie etwas ungeheuer Verwüstetes an sich hatte. Mir war bewusst, dass ich dem Abgrund, den ich in ihrem Inneren ahnte, nicht neutral gegenüberstehen konnte.
»Sitzt du gut, Charlotte?«, fragte ich.
Sie nickte und antwortete mit ihrer sanften Stimme:
»Mir geht es gut, richtig gut.«
»Heute werden wir Charlottes inneren Raum untersuchen«, erläuterte ich.
»Mein verwunschenes Schloss«, lächelte sie.
»Genau.«
Marek grinste mich freudlos und ungeduldig an, als unsere Blicke sich begegneten. Er hatte den ganzen Morgen im Fitnessstudio trainiert, seine Muskeln strotzten vor Blut. Ich sah auf die Uhr. Es wurde Zeit, wir konnten nicht noch länger auf Eva Blau warten.
»Ich schlage vor, wir fangen an«, sagte ich.
Sibel stand hastig auf und legte einen Kaugummi in eine Papierserviette, die sie fortwarf. Sie warf mir einen scheuen Blick zu und sagte:
»Ich bin bereit, Herr Doktor.«
Der Entspannung folgte die schwere, warme Leiter der Induktion, die Auflösung des Willens und aller Grenzen. Langsam versetzte ich sie in eine tiefere Trance, beschwor das Bild einer feuchten Holztreppe herauf, auf der ich sie sachte hinabführte.
Diese spezielle Energie regte sich zwischen uns, eine ganz eigenartige Wärme zwischen mir und den anderen. Meine Stimme war anfangs klar und artikuliert, wurde jedoch allmählich immer dunkler. Jussi wirkte unruhig, brummte vor sich hin und verzog gelegentlich aggressiv den Mund. Meine Stimme steuerte die Patienten, und meine Augen sahen ihre Körper auf den Stühlen zusammensinken, ihre Gesichter flacher werden und den eigentümlichen, groben Ausdruck annehmen, den man bei allen hypnotisierten Menschen findet.
Ich bewegte mich hinter ihnen, berührte sie leicht an den Schultern, führte jeden Einzelnen von ihnen, zählte rückwärts, Schritt für Schritt.
Jussi zischelte etwas vor sich hin.
Marek Semiovic’ Mund stand offen, Speichel lief heraus.
Pierre wirkte dünner und weicher denn je. Lydias Arme hingen schlaff herab.
»Geht weiter die Treppe hinunter«, sagte ich leise.
Ich hatte dem Krankenhausvorstand nicht erzählt, dass auch der Hypnotiseur selbst in eine Art Trance versetzt wurde. In meinen Augen war dies unvermeidlich und gut.
Ich begriff nie, warum sich meine eigene Trance, die stets parallel zur Hypnose der Patienten verlief, unter Wasser abspielte. Aber mir gefiel das Wasserbild, es war deutlich und angenehm, und ich hatte mich daran gewöhnt, an ihm die Nuancen des Verlaufs abzulesen.
Während ich in einem Meer versank, sahen meine Patienten natürlich völlig andere Dinge, sie fielen in ihre Erinnerungen, in die Vergangenheit, sie landeten in den Zimmern ihrer Kindheit, an den Orten ihrer Jugend, im Sommerhaus der Eltern oder in der Garage des Nachbarmädchens. Sie wussten nicht, dass sie sich für mich gleichzeitig tief unter Wasser befanden und langsam parallel zu einer riesigen Korallenformation, einem Tiefseesockel oder der rauen Wand eines Kontinentalgrabens sanken.
In meinen Gedanken sanken wir nun gemeinsam durch perlendes Wasser.
Diesmal wollte ich versuchen, alle ziemlich tief in die Hypnose mitzunehmen. Meine Stimme zählte und sprach über die angenehme Entspannung, während das Wasser in meinen Ohren rauschte.
»Ich möchte, dass ihr noch tiefer sinkt, noch ein bisschen weiter«, sagte ich. »Geht tiefer hinab, aber langsamer, immer langsamer. Gleich bleibt ihr stehen, ganz sanft und still … ein bisschen tiefer, noch etwas, jetzt bleiben wir stehen.«
Die ganze Gruppe stand mir auf dem sandigen Meeresgrund in einem Halbkreis gegenüber. Flach und weitgestreckt wie ein gigantischer Fußboden. Das Wasser war hell und leicht grünlich. Der Sand unter unseren Füßen war zu kleinen, regelmäßigen Wellen geformt. Über uns trieben schimmernd rosafarbene Quallen. Plattfische wirbelten gelegentlich Sandwolken auf und schossen davon.
»Wir sind jetzt alle ganz tief«, sagte ich.
Sie öffneten die Augen und sahen mich unverwandt an.
»Charlotte, du machst heute den Anfang«, fuhr ich fort. »Was siehst du? Wo bist du?«
Ihr Mund bewegte sich lautlos.
»Du brauchst dich vor nichts zu fürchten«, erklärte ich. »Wir sind immer bei dir, stehen hinter dir.«
»Ich weiß«, erwiderte sie eintönig.
Ihre Augen waren weder offen noch geschlossen. Sie blinzelten leer und abwesend wie die eines Schlafwandlers.
»Du stehst
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