Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
offen, und es sah aus, als hätte sie Tränen in den Augen.
Marek stand auf und bürstete seine Hose mit der Hand ab.
Ich stellte fest, dass Eva Blau noch nicht gekommen war, ging zum Stativ und begann, die Kamera für die Sitzung vorzubereiten. Ich stellte eine Totale ein, zoomte heran und testete mit Hilfe eines Kopfhörers das Mikrofon. Durch die Kameralinse sah ich Lydia Charlotte anlächeln und hörte sie gleichzeitig fröhlich ausrufen:
»Ja, genau! So ist das immer bei Kindern! Mein Kasper redet über nichts anderes, es dreht sich alles nur um Spiderman.«
»Ich habe auch schon gemerkt, dass im Moment alle ganz verrückt nach ihm sind«, sagte Charlotte lächelnd.
»Kasper hat keinen Vater, sodass Spiderman für ihn vielleicht so etwas wie ein männliches Vorbild ist«, meinte Lydia und lachte so laut, dass der Ton im Kopfhörer verzerrte. »Aber es geht uns gut«, fuhr sie fort. »Wir lachen viel, auch wenn wir in letzter Zeit öfters Krach hatten, weil Kasper auf alles eifersüchtig zu sein scheint, was ich tue. Er will meine Sachen kaputtmachen und hat etwas dagegen, dass ich telefoniere, er hat mein Lieblingsbuch in die Toilette geworfen, er schreit mich an … Ich glaube, dass etwas passiert ist, aber er will mir nicht erzählen, was.«
Charlotte schaute besorgt, Jussi brummte etwas, und Marek gestikulierte ungeduldig zu Pierre hinüber.
Nachdem ich die Kamera eingestellt hatte, ging ich zu meinem Stuhl und setzte mich. Kurz darauf hatten alle ihre Plätze eingenommen.
»Wir machen weiter wie letztes Mal«, sagte ich und lächelte.
»Ich bin dran«, meldete sich Jussi ruhig und begann, von seinem verwunschenen Schloss zu erzählen: seinem Elternhaus oben in Dorotea, im südlichen Lappland. Mit großem Landbesitz in der Nähe von Sutme gelegen, wo die Samen noch bis in die siebziger Jahre hinein in traditionellen Hütten lebten. »Ich wohne ganz in der Nähe eines tiefen Waldsees«, erzählte er. »Das letzte Stück fährt man auf alten Holzfällerwegen. Im Sommer kommen junge Leute und gehen im See schwimmen. Sie finden das mit dem Neck spannend.«
»Dem Neck?«, fragte ich.
»Seit mehr als dreihundert Jahren haben die Leute einen Wassergeist am Waldsee sitzen und Geige spielen sehen.«
»Du nicht?«
»Nein«, lächelte er breit.
»Aber was treibst du denn das ganze Jahr über mitten im Wald?«, erkundigte sich Pierre grinsend.
»Ich kaufe alte Autos und Busse, repariere sie und verkaufe sie weiter, auf meinem Grundstück sieht es aus wie auf einem Schrottplatz.«
»Ist das Haus groß?«, fragte Lydia.
»Nein, aber grün … Mein Alter hat den Kasten mal in einem Sommer neu gestrichen. In einer komischen hellgrünen Farbe. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat, vielleicht hatte er die Farbe ja von jemandem bekommen.«
Er verstummte, und Lydia lächelte ihn an.
An diesem Tag war es schwierig, die Gruppe in die Entspannung zu führen. Vielleicht war ich durch die Sache mit Maja abgelenkt, vielleicht machte ich mir aber auch Sorgen, weil ich viel zu heftig auf Mareks Provokation reagiert hatte. Jedenfalls kam es mir fast so vor, als wäre in der Gruppe etwas vorgefallen, wovon ich nichts wusste. Es bedurfte mehrerer Anläufe, bis ich spürte, dass wir alle in die gähnende Tiefe fielen.
Jussis Unterlippe schob sich vor, die Wangen hingen herab.
»Ich möchte, dass du denkst, du bist auf dem Hochsitz«, sagte ich.
Jussi flüsterte etwas über den Rückstoß an der Schulter, den anhaltenden Schmerz.
»Du bist jetzt auf dem Hochsitz?«, fragte ich.
»Das hohe Gras auf der Wiese ist gefroren«, sagte er leise.
»Schau dich um. Bist du allein?«
»Nein.«
»Wer ist noch da?«
»Am schwarzen Waldrand bewegt sich ein Reh. Es ruft. Sucht nach den Jungtieren.«
»Aber auf dem Hochsitz bist du allein?«
»Ich bin immer allein mit meiner Flinte.«
»Du hast vom Rückschlag gesprochen – hast du schon geschossen?«, fragte ich.
»Geschossen?«
Er machte eine Geste mit dem Kopf, als wollte er eine Richtung anzeigen.
»Ein Tier rührt sich nicht«, sagte er leise, »seit ein paar Stunden schon nicht mehr, aber das andere zappelt noch, immer müder, im blutigen Gras.«
»Was tust du?«
»Ich warte, und es dämmert schon, als ich wieder eine Bewegung am Waldrand sehe. Ich ziele auf einen Huf, überlege es mir dann aber anders und nehme stattdessen ein Ohr ins Visier, die kleine, schwarze Schnauze, das Knie, und jetzt habe ich wieder den Rückstoß gespürt, und ich
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