Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
ihr. Als er eintritt, steht sie am Fenster und putzt sich mit einem Stück Küchenrolle die Nase. Erik streckt die Hand aus, um sie zu streicheln, aber sie entzieht sich seiner Berührung. Er weiß genau, wann Benjamin die letzte Spritze mit dem Faktorpräparat bekommen hat, das seinem Blut bei der Gerinnung hilft, ihn vor spontanen Hirnblutungen schützt und verhindert, dass er womöglich nur wegen einer schnellen Bewegung verblutet.
»Dienstagmorgen um zehn nach neun habe ich ihm die Spritze gegeben. Er wollte eislaufen gehen, ist aber stattdessen mit Aida nach Tensta gefahren.«
Sie nickt und rechnet mit zuckendem Gesicht nach:
»Heute ist Sonntag. Übermorgen müsste er eine neue Spritze bekommen«, flüstert sie.
»Auch danach wird es die ersten Tage noch nicht gefährlich werden«, sagt Erik beruhigend.
Er sieht sie an, ihre erschöpftes Gesicht, die müden Züge, die Sommersprossen. Die Hüfthose, der Rand des gelben Slips parallel zum Bund. Er würde gerne bleiben, einfach nur bleiben, er würde sich wünschen, mit ihr im gleichen Bett zu schlafen, im Grunde würde er gerne mit ihr schlafen, aber er weiß, dass die Zeit für all das noch nicht reif ist, es ist zu früh, es auch nur zu versuchen, zu früh, um sich danach zu sehnen.
»Ich werde gehen«, murmelt er.
Sie nickt.
Sie sehen einander an.
»Ruf an, wenn Kennet das Gespräch geortet hat.«
»Wo willst du hin?«, fragt sie.
»Ich muss arbeiten.«
»Schläfst du im Büro?«
»Das ist ziemlich praktisch.«
»Du könntest hier schlafen«, sagt sie.
Er ist überrascht und weiß nicht, was er sagen soll. Aber der kurze Moment der Stille reicht aus, damit sie seine Reaktion als Zögern auslegt.
»Das war nicht als Einladung gemeint«, sagt sie schnell. »Bilde dir bloß nichts ein.«
»Danke gleichfalls«, antwortet er.
»Bist du zu Daniella gezogen?«
»Nein.«
»Wir haben uns schon getrennt«, sagt sie mit lauter Stimme. »Du brauchst mich also nicht mehr anzulügen.«
»Okay.«
»Was jetzt? Okay was?«
»Ich bin zu Daniella gezogen«, lügt er.
»Gut«, flüstert sie.
»Ja.«
»Ich werde dich nicht fragen, ob sie jung und hübsch ist und …«
»Das ist sie«, unterbricht Erik sie.
Er geht in den Flur, zieht seine Schuhe an und zieht die Tür hinter sich zu. Ehe er weitergeht, wartet er, bis Simone abgeschlossen und die Kette vorgelegt hat.
31.
Montagmorgen, der vierzehnte Dezember
Simone wacht davon auf, dass das Telefon klingelt. Die Vorhänge sind aufgezogen, und das Schlafzimmer ist in winterliches Sonnenlicht getaucht. Für einen kurzen Moment kommt ihr der Gedanke, es könnte Erik sein, und als sie einsieht, dass er nicht anrufen wird, weil er an diesem Morgen neben Daniella aufwacht, und sie jetzt ganz allein ist, möchte sie nur noch heulen.
Sie nimmt das Telefon vom Nachttisch und meldet sich:
»Ja?«
»Simone? Hier ist Ylva. Ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen.«
Ylva klingt extrem gestresst. Es ist schon zehn.
»Ich war mit anderen Dingen beschäftigt«, sagt Simone streng.
»Sie haben ihn nicht gefunden?«
»Nein«, antwortet Simone.
Es wird still. Schatten huschen am Fenster vorbei, und Simone sieht von einem Dach gegenüber Farbe herabfallen. Abblätternde Farbe auf einem Blechdach, die von Männern in oranger Arbeitskleidung abgeschabt wird.
»Entschuldige«, sagt Ylvva. »Ich wollte dich nicht stören.«
»Was ist passiert?«
»Der Steuerberater ist heute Morgen hier gewesen, anscheinend ist irgendetwas nicht in Ordnung, und ich kann einfach nicht denken, solange Norén hier ist und hämmert.«
»Hämmert?«
Ylva macht ein Geräusch, das sich nicht deuten lässt.
»Er ist mit einem Gummihammer hier gewesen und hat behauptet, er würde moderne Kunst erschaffen«, erläutert Ylva mit müder Stimme. »Er sagt, dass er keine Aquarelle mehr malt, sondern nach den Hohlräumen in der Kunst sucht.«
»Die soll er verdammt nochmal woanders suchen.«
»Er hat die Schale von Peter Dahl kaputtgeschlagen.«
»Hast du die Polizei gerufen?«
»Ja, sie waren hier, aber Norén hat nur was über seine künstlerische Freiheit gefaselt. Sie haben ihm gesagt, er soll sich fernhalten, und deshalb steht er jetzt draußen und hämmert.«
Simone steht auf und mustert sich im rauchgetönten Spiegel der Kleiderkammer. Sie sieht hager und müde aus. Es kommt ihr vor, als wäre ihr Gesicht in viele kleine Stücke zertrümmert und anschließend wieder zusammengesetzt worden.
»Und
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