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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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widersprachen einander fast immer. Am
meisten interessierte man sich für den Fürsten natürlich im
Jepantschinschen Haus, wo er bei seiner Abreise nicht einmal Zeit
gefunden hatte, sich zu verabschieden. Der General war allerdings
damals noch mit ihm zusammengekommen, sogar mehrere Male, und sie
hatten miteinander ernste Gespräche geführt; aber von diesen
Zusammenkünften machte Jepantschin seiner Familie keine Mitteilung. Und
überhaupt wurde in der ersten Zeit, das heißt, einen ganzen Monat lang
nach der Abreise des Fürsten, im Jepantschinschen Haus nach
stillschweigender Übereinkunft von ihm nicht gesprochen. Nur die
Generalin Lisaweta Prokofjewna äußerte sich ganz am Anfang dieser Zeit
dahin, sie habe sich in dem Fürsten grausam getäuscht. Und einige Tage
darauf fügte sie, ohne jedoch den Fürsten zu nennen, sondern nur so im
allgemeinen, hinzu, das wichtigste Charakteristikum ihres Lebens
bestehe darin, daß sie sich fortwährend in den Menschen täusche. Und
schließlich nach weiteren zehn Tagen erklärte sie, als sie sich aus
irgendeinem Grund über ihre Töchter geärgert hatte, nun sei es genug
mit den Irrtümern; weitere werde sie nicht begehen. Außerdem war nicht
zu verkennen, daß in diesem Haus lange Zeit eine recht unangenehme
Stimmung herrschte. Es machte sich ein gewisser Druck, eine gewisse
Gespanntheit fühlbar; man sprach sich nicht ordentlich aus und neigte
dazu, sich zu streiten; alle machten finstere Gesichter. Der General
war Tag und Nacht beschäftigt und mit Arbeit überhäuft; man hatte ihn
selten stärker von Geschäften in Anspruch genommen und tätiger gesehen,
namentlich im Dienst. Seine Familie bekam ihn kaum noch zu sehen. Was
die Jepantschinschen Mädchen anlangte, so hörte natürlich niemand ein
lautes Wort von ihnen über das Vorgefallene; vielleicht sprachen sie
sogar untereinander, wenn sie allein waren, nur sehr wenig darüber. Sie
waren stolze, hochmütige Mädchen und sogar unter sich zuweilen
verschämt; übrigens verstanden sie einander schon beim ersten Wort, ja
sogar beim ersten Blick, so daß sie manchmal nicht nötig hatten, viel
zu sprechen.
    Nur auf eins hätte ein fremder Beobachter, wenn ein solcher
dagewesen wäre, schließen können: daß, nach all den oben angeführten,
wiewohl nicht zahlreichen Indizien zu urteilen, der Fürst doch einen
besonderen Eindruck in der Jepantschinschen Familie gemacht haben
mußte, obwohl er sich in ihr nur einmal und noch dazu nur flüchtig
gezeigt hatte. Vielleicht beruhte dieser Eindruck einfach darauf, daß
einige außerordentliche Erlebnisse des Fürsten die Neugier erregt
hatten. Wie dem auch sein mochte, jedenfalls hatte er einen starken
Eindruck hinterlassen.
    Nach und nach versanken auch die Gerüchte, die sich zunächst in der
Stadt verbreitet hatten, in das Dunkel der Ungewißheit. Man erzählte
sich allerdings von einem närrischen jungen Fürsten (den Namen konnte
niemand zuverlässig angeben), der auf einmal eine kolossale Erbschaft
gemacht und eine zugereiste Französin, eine bekannte Cancantänzerin aus
dem Château des fleurs in Paris, geheiratet habe. Aber andere sagten,
die Erbschaft habe vielmehr ein General gemacht, und derjenige, der die
zugereiste Französin und berühmte Cancantänzerin geheiratet habe, sei
ein enorm reicher russischer Kaufmann; dieser habe bei seiner Hochzeit
aus reiner Prahlsucht in betrunkenem Zustand an einer Kerze
siebenhunderttausend Rubel der letzten Prämienanleihe verbrannt. Aber
alle diese Gerüchte verstummten sehr bald, wozu die Umstände sehr
wesentlich mithalfen. So zum Beispiel hatte sich Rogoschins ganze
Rotte, von der doch manche über das Geschehene allerlei hätten erzählen
können, in geschlossenem Trupp mit ihm selbst an der Spitze nach Moskau
begeben, eine Woche nach der schauderhaften Orgie auf dem Bahnhof von
Jekateringof, bei welcher auch Nastasja Filippowna zugegen gewesen war.
Einige wenige, die sich für die Sache gar nicht einmal sonderlich
interessierten, hatten gerüchtweise gehört, Nastasja Filippowna sei
gleich am nächsten Tag nach jener Orgie in Jekateringof geflohen und
verschwunden, und man habe endlich ausgespürt, daß sie sich nach Moskau
begeben habe; sie fanden daher, daß auch Rogoschins Abreise nach Moskau
mit diesem Gerücht im Einklang stehe.
    Auch speziell über Gawrila Ardalionowitsch Iwolgin, der gleichfalls
eine in seinem Kreis recht bekannte Persönlichkeit war, begannen
allerlei Gerüchte umzugehen. Aber auch ihm begegnete

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