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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Rubel! Ich werde es jetzt gleich in den Kamin
werfen, ins Feuer, hier vor aller Augen; alle Anwesenden sind Zeugen!
Sobald das Feuer es ganz erfaßt haben wird, greife in den Kamin, aber
ohne Handschuhe, mit bloßen Händen und aufgestreiften Ärmeln, und zieh
das Päckchen aus dem Feuer! Wenn du es herausziehst, soll es dir
gehören, die ganzen hunderttausend Rubel sollen dir gehören! Du wirst
dir nur ein ganz klein bißchen die Fingerchen verbrennen; aber dafür
bekommst du auch hunderttausend Rubel, bedenk das wohl! Das Herausholen
ist ja in einem Augenblick ausgeführt! Ich aber will mich an dem
Anblick deiner Seele erfreuen, wie du nach meinem Geld ins Feuer
greifst. Alle sind Zeugen, daß das Päckchen dann dir gehört! Greifst du
aber nicht hinein, so verbrennt es; ich werde keinen andern
heranlassen. Weg da! Alle weg! Es ist mein Geld! Ich habe es von
Rogoschin für eine Nacht bekommen. Gehört das Geld mir, Rogoschin?«
    »Dir gehört es, du meine Herzensfreude! Dir, du meine Königin!«
    »Nun, dann also alle weg! Was ich will, das tue ich auch! Suche mich
keiner zu hindern! Ferdyschtschenko, schüren Sie das Feuer!«
    »Nastasja Filippowna, ich kann die Arme nicht heben!« erwiderte Ferdyschtschenko, der ganz wie benommen war.
    »Ach was!« rief Nastasja Filippowna, ergriff die Feuerzange,
scharrte zwei schwelende Holzscheite auseinander und warf, sobald das
Feuer lebhafter aufbrannte, das Päckchen hinein. Die Umstehenden
stießen einen Schrei aus; viele bekreuzigten sich sogar.
    »Sie ist verrückt geworden!« wurde ringsum gerufen.
    »Sollten wir ... sollten wir sie nicht binden?« flüsterte der
General dem neben ihm stehenden Ptizyn zu. »Oder sollten wir nicht nach
der Polizei schicken ...? Sie ist ja verrückt geworden, total verrückt.«
    »N-nein das ist vielleicht gar nicht Verrücktheit«, flüsterte Ptizyn
zurück, der bleich wie Leinwand geworden war, am ganzen Leibe zitterte
und seine Augen von dem bereits schwelenden Päckchen nicht loszureißen
vermochte.
    »Ist sie nicht verrückt? Ist sie nicht verrückt?« fragte der General dann beharrlich Tozki.
    »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß sie ein eigentümliches Weib ist«,
murmelte Afanasi Iwanowitsch, der ebenfalls etwas blaß geworden war.
    »Aber es sind ja doch hunderttausend Rubel ...!«
    »Herr Gott, Herr Gott!« wurde ringsumher gerufen. Alle umdrängten
den Kamin, alle wollten sehen, alle schrien ... Manche stiegen sogar
auf Stühle, um über die Köpfe der andern hinwegsehen zu können. Darja
Alexejewna stürzte in das Nebenzimmer und redete dort in ängstlichem
Flüsterton mit Katja und Pascha. Die schöne Deutsche war davongelaufen.
    »Mütterchen, Königin, Großmächtige!« heulte Lebedjew, der auf den
Knien vor Nastasja Filippowna herumkroch und die Hände nach dem Kamin
ausstreckte.
    »Hunderttausend, hunderttausend! Ich habe sie selbst gesehen; sie
sind vor meinen Augen eingepackt worden. Mütterchen! Barmherzige!
Erlaube mir, in den Kamin hineinzugreifen; ich will ganz und gar
hineinkriechen; meinen ganzen grauen Kopf will ich ins Feuer
hineinlegen ...! Ich habe ein krankes Weib, das nicht gehen kann, und
dreizehn Kinder, für die keine Mutter sorgt; meinen Vater habe ich in
der vorigen Woche begraben; wir haben nichts zu essen, Nastasja
Filippowna!«
    Unter solchem Klagegeschrei wollte er schon zum Kamin hinkriechen.
    »Weg!« rief Nastasja Filippowna und stieß ihn fort. »Tretet alle
auseinander! Ganja, was stehst du da? Schäme dich nicht, greif hinein!
Es handelt sich um dein Lebensglück!«
    Aber Ganja hatte schon zuviel an diesem Tag und an diesem Abend
ertragen und war auf diese letzte, unerwartete Prüfung nicht
vorbereitet. Die Menge trat vor ihnen nach beiden Seiten auseinander,
und er blieb Auge in Auge mit Nastasja Filippowna stehen, drei Schritte
von ihr entfernt. Sie stand dicht beim Kamin und wartete, ohne ihren
brennenden, festen Blick von ihm abzuwenden. Ganja, in Frack und
Handschuhen, den Hut in der Hand, stand, ohne ein Wort zu sagen und
ohne eine Antwort zu geben, vor ihr, hatte die Arme gekreuzt und
blickte ins Feuer. Ein irres Lächeln huschte über sein Gesicht, das
totenblaß geworden war. Allerdings vermochte er die Augen nicht von dem
Feuer und dem glimmenden Päckchen wegzuwenden; aber ein neues Gefühl
schien in seine Seele Eingang gefunden zu haben; er hatte sich
geschworen, diese Folter zu ertragen; er rührte sich nicht vom Fleck;
nach einigen Augenblicken war es allen deutlich geworden, daß

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