Der Idiot
ich
fertig! Grüßt ihn von mir, und gedenket meiner nicht im Bösen ...«
Der Fürst eilte, so schnell er nur konnte, nach dem Portal zu, wo
alle dabei waren, sich in vier mit Glöckchen behängte Troiken zu
verteilen. Der General, der ihm nachlief, holte ihn noch auf der Treppe
ein.
»Ich bitte dich, Fürst, komm zur Besinnung!« sagte er und ergriff
ihn bei der Hand. »Laß doch das Weib laufen! Du siehst ja, was sie für
eine ist! Ich rede zu dir wie ein väterlicher Freund ...«
Der Fürst sah ihn an, riß sich aber, ohne ein Wort zu sagen, los und lief nach unten.
Am Portal, von dem die Troiken gerade abgefahren waren, sah der
General noch, wie der Fürst die erste beste Droschke nahm und dem
Kutscher zurief: »Nach Jekateringof, hinter den Troiken her!« Dann kam
der mit einem grauen Traber bespannte Wagen des Generals vorgefahren
und brachte den General nach Hause, mit neuen Hoffnungen und Plänen und
mit dem Perlenschmuck, den der General doch nicht vergessen hatte
mitzunehmen. Mitten unter diesen Spekulationen tauchte Nastasja
Filippownas verführerisches Bild ein paarmal vor seinem geistigen Auge
auf, und er seufzte:
»Schade, wirklich schade! Ein verlorenes Weib! Ein verrücktes Weib!
Nun, der Fürst kann jetzt eine Nastasja Filippowna nicht brauchen ...
Vielleicht ist es also sogar gut, daß die Sache eine solche Wendung
genommen hat.«
In ähnlicher Weise widmeten noch zwei andere Gäste Nastasja
Filippownas, die sich dafür entschieden hatten, eine Strecke zu Fuß zu
gehen, ihr ein paar moralische Worte als Nachruf.
»Wissen Sie, Afanasi Iwanowitsch, bei den Japanern soll es etwas
Ähnliches geben«, sagte Iwan Petrowitsch Ptizyn. »Da geht, wie es
heißt, der Beleidigte zu dem Beleidiger hin und sagt zu ihm: ›Du hast
mich beleidigt; deshalb bin ich hergekommen, um mir vor deinen Augen
den Bauch aufzuschlitzen‹, und mit diesen Worten schlitzt er sich
wirklich vor den Augen des Beleidigers den Bauch auf und fühlt dabei
wahrscheinlich eine außerordentliche Befriedigung, als habe er sich
tatsächlich gerächt. Es gibt sonderbare Charaktere auf der Welt,
Afanasi Iwanowitsch!«
»Und Sie meinen, daß auch hier etwas Derartiges vorliegt?« erwiderte
Afanasi Iwanowitsch lächelnd. »Hm! Sie sind sehr geistreich und haben
einen sehr schönen Vergleich beigebracht. Sie haben aber doch selbst
gesehen, liebster Iwan Petrowitsch, daß ich alles getan habe, was in
meinen Kräften stand; über die Grenze des Möglichen hinaus kann ich
doch nichts tun, das müssen Sie selbst zugeben. Aber auf der andern
Seite werden Sie auch das zugeben müssen, daß diese Frau großartige
Eigenschaften, herrliche Charakterzüge besitzt. Ich wollte ihr vorhin
schon zurufen, wenn das in diesem Wirrwarr möglich gewesen wäre, daß
sie selbst meine beste Rechtfertigung gegen ihre Anschuldigungen sei.
Nun, ist es nicht erklärlich, wenn sich jemand von diesem Weibe so
fesseln läßt, daß er Vernunft und alles vergißt? Sehen Sie, dieser
Plebejer, dieser Rogoschin, hat ihr hunderttausend Rubel gebracht!
Alles, was sich da heute zugetragen hat, war allerdings unüberlegt,
romantisch, unschicklich, aber dafür doch individuell und originell,
das müssen Sie selbst zugeben. Oh Gott, wozu könnte sie es bei einem
solchen Charakter und bei einer solchen Schönheit nicht bringen! Aber
trotz aller Bemühungen von meiner Seite, ja trotz aller Bildung, die
ihr zuteil geworden ist, ist nun doch alles zugrunde gegangen! Sie ist
ein ungeschliffener Diamant, wie ich manchmal von ihr gesagt habe ...«
Und Afanasi Iwanowitsch stieß einen tiefen Seufzer aus.
Zweiter Teil
I
Zwei Tage nach den seltsamen Vorgängen auf Nastasja Filippownas
Abendgesellschaft, mit denen wir den ersten Teil unserer Erzählung
geschlossen haben, fuhr Fürst Myschkin eilig nach Moskau, um seine
unerwartete Erbschaft in Empfang zu nehmen. Es hieß damals, seine
eilige Abreise habe möglicherweise auch noch andere Ursachen; aber
hierüber sowie über die Erlebnisse des Fürsten in Moskau und überhaupt
während seiner Abwesenheit von Petersburg sind wir nur sehr weniges zu
berichten imstande. Der Fürst blieb genau sechs Monate fort, und sogar
diejenigen Leute, die einigen Grund hatten, sich für sein Schicksal zu
interessieren, vermochten während dieser ganzen Zeit nur äußerst wenig
über ihn in Erfahrung zu bringen. Manchen kamen allerdings, wiewohl nur
sehr selten, gewisse Gerüchte zu Ohren; aber diese Gerüchte klangen
großenteils recht seltsam und
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