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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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General dieses »Malheur« betroffen hatte,
wie Kolja sich ausdrückte, und überhaupt seit der Verheiratung seiner
Schwester hatte sich Kolja fast gänzlich von der Oberherrschaft seiner
Angehörigen freigemacht, und es war so weit gekommen, daß er in der
letzten Zeit nur noch selten bei der Familie erschien und dort
übernachtete. Gerüchten zufolge hatte er eine Menge neuer
Bekanntschaften angeknüpft; außerdem war er im Schuldgefängnis eine
sehr bekannte Erscheinung geworden; Nina Alexandrowna konnte dort ohne
ihn gar nicht mit ihrem Mann zurechtkommen. Zu Hause aber belästigte
man ihn jetzt nicht einmal mit neugierigen Fragen. Warja, die früher so
streng mit ihm verfahren war, unterwarf ihn jetzt nicht dem geringsten
Verhör über seine Wanderungen, und Ganja redete und verkehrte zur
großen Verwunderung seiner Angehörigen manchmal trotz seiner
Hypochondrie mit ihm ganz freundschaftlich, was früher nie geschehen
war, da der sechsundzwanzigjährige Ganja natürlicherweise seinem
fünfzehnjährigen Bruder nicht die geringste freundschaftliche Beachtung
geschenkt, ihn grob behandelt, auch von allen anderen Angehörigen nur
Strenge gegen ihn verlangt und beständig gedroht hatte, »ihn bei den
Ohren zu nehmen«, wodurch bei Kolja »der letzte Rest menschlicher
Geduld erschöpft wurde«. Man konnte glauben, daß Ganja seinen Bruder
Kolja jetzt manchmal geradezu nötig hatte. Diesem hatte es nicht wenig
imponiert, daß Ganja damals das Geld zurückgegeben hatte, und er war
bereit, ihm dafür vieles zu verzeihen.
    Es waren nun drei Monate seit der Abreise des Fürsten vergangen, da
erfuhr man in der Familie Iwolgin, daß Kolja auf einmal mit
Jepantschins bekannt geworden sei und von den jungen Mädchen stets sehr
freundlich aufgenommen werde. Warja hatte dies bald erfahren; übrigens
war Kolja nicht durch Warja dort bekannt geworden, sondern »ganz auf
eigene Hand«. Allmählich hatte man ihn bei Jepantschins liebgewonnen.
Die Generalin war ihm anfänglich nicht sehr zugetan gewesen, hatte dann
aber bald an ihm Geschmack gefunden »wegen seiner Offenherzigkeit, und
weil er nicht schmeichelte«. Daß Kolja nicht schmeichelte, war durchaus
richtig; er verstand es, mit ihnen auf völlig gleichem Fuße und unter
Wahrung seiner Unabhängigkeit zu verkehren, wiewohl er der Generalin
manchmal Bücher und Zeitungen vorlas; aber er war immer äußerst
dienstfertig. Ein paarmal verzankte er sich grimmig mit Lisaweta
Prokofjewna und erklärte ihr, sie sei eine Despotin, und er werde
keinen Fuß mehr in ihr Haus setzen. Das erstemal war der Streit aus der
»Frauenfrage« entstanden und das zweitemal aus der Frage, welche
Jahreszeit zum Zeisigfang die geeignetste sei. So unwahrscheinlich es
klingen mag, aber die Generalin schickte ihm am dritten Tag nach dem
Streit durch einen Diener ein Briefchen zu, in dem sie ihn dringend
bat, wieder hinzukommen; Kolja sträubte sich nicht, sondern stellte
sich sofort ein. Nur Aglaja zeigte sich ihm aus nicht recht
verständlichem Grund dauernd nicht wohlgeneigt und behandelte ihn sehr
von oben herab. Und doch sollte er gerade sie in Erstaunen versetzen.
Eines Tages (es war in der Osterzeit) paßte Kolja einen Augenblick ab,
wo er mit Aglaja allein war, und übergab ihr einen Brief, wobei er nur
bemerkte, er sei angewiesen, ihn ihr unter vier Augen zuzustellen.
Aglaja warf dem »eingebildeten Jungen« einen strengen Blick zu; aber
Kolja wartete Weiteres nicht ab und ging hinaus. Sie öffnete den Brief
und las:
    »Sie haben mich früher einmal Ihres Vertrauens gewürdigt. Vielleicht
haben Sie mich jetzt ganz vergessen. Wie kommt es, daß ich jetzt an Sie
schreibe? Ich weiß es nicht; aber es wurde in mir ein unüberwindliches
Verlangen rege, mich Ihnen, gerade Ihnen, ins Gedächtnis zurückzurufen.
Wie oft hatte ich Sie alle drei dringend nötig; aber ich sah immer von
Ihnen allen dreien nur Sie allein. Ich habe Sie nötig, dringend nötig.
Von mir selbst habe ich Ihnen nichts zu schreiben und nichts zu
erzählen. Das war auch gar nicht meine Absicht; ich wünsche nur von
ganzem Herzen, daß Sie glücklich sein möchten. Sind Sie glücklich? Nur
das wollte Ihnen sagen.
    Ihr Bruder Fürst L. Myschkin.«
    Als Aglaja diesen kurzen und recht sinnlosen Brief las, wurde sie
plötzlich dunkelrot und versank in Nachdenken. Es würde uns schwer
sein, den Gang ihrer Gedanken aufzuzeichnen. Unter anderm fragte sie
sich: »Soll ich den Brief jemandem zeigen?« Sie schämte sich dessen
gewissermaßen.

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