Der Idiot
ihn, und jeder versetzt ihm einen Fußtritt. Aber dort, bei
dieser Auslegung, stehe ich den Großen dieser Welt gleich. Denn dabei
kommt es auf den Verstand an! Und es hat auch schon ein hoher
Würdenträger vor mir gezittert, auf seinem Lehnstuhl, als ihm ein Licht
aufging. Seine Exzellenz Nil Alexejewitsch hatte vor zwei Jahren vor
Ostern von mir gehört (ich war damals noch in seinem Departement
angestellt), ließ mich durch Peter Sacharowitsch expreß aus dem Bureau
zu sich in sein Arbeitszimmer rufen und fragte mich unter vier Augen:
›Ist das wahr, daß du ein Verkünder des Antichrists bist?‹ Und ich
leugnete nicht und sprach: ›Ich bin es.‹ Und ich legte ihm alles aus
und stellte es ihm dar, und ich milderte das Schreckliche nicht,
sondern steigerte es noch unvermerkt, indem ich die allegorische
Bücherrolle öffnete, und zog Schlüsse aus den Zahlen. Und er lachte;
aber bei den Zahlen und den Ähnlichkeiten fing er an zu zittern und bat
mich, das Buch zu schließen und wegzugehen, und zu Ostern wies er mir
eine Remuneration an, und in der zweiten Woche nach Ostern hauchte er
seine Seele aus.«
»Was reden Sie da, Lebedjew?«
»Ich sage es, wie es gewesen ist. Er fiel nach dem Mittagessen aus
seiner Equipage ... mit der Schläfe schlug er gegen einen Prellstein,
und wie ein kleines Kind, ganz wie ein kleines Kind, war er auf dem
Fleck tot. Dreiundsiebzig Jahre war er nach der Rangliste alt geworden;
er hatte eine rötliche Gesichtsfarbe, graues Haar und besprengte sich
ganz mit Parfüm; und immer lächelte er, immer lächelte er, wie ein
kleines Kind. Peter Sacharowitsch erinnerte sich damals noch an das,
was vorhergegangen war, und sagte zu mir: ›Du hast es vorhergesagt.‹«
Der Fürst erhob sich. Lebedjew wunderte sich und war sogar ganz befremdet, daß der Fürst schon fort wollte.
»Sie sind jetzt so gleichmütig geworden, hehe!« erlaubte er sich unterwürfig zu bemerken.
»Ich fühle mich in der Tat nicht ganz wohl; der Kopf tut mir weh,
wohl von der Reise«, antwortete der Fürst mit finsterem Gesicht.
»Sie sollten aufs Land gehen«, riet Lebedjew schüchtern.
Der Fürst überlegte.
»Ich will selbst in drei Tagen mit meiner ganzen Familie nach meinem
Landhaus ziehen, damit sich auch der Säugling da kräftigt, und damit
hier im Haus unterdessen alles zurechtgemacht wird. Ich ziehe ebenfalls
nach Pawlowsk.«
»Sie ziehen auch nach Pawlowsk?« fragte der Fürst rasch. »Wie geht
denn das zu? Ziehen hier alle Leute nach Pawlowsk? Und Sie haben, wie
Sie sagen, dort ein eigenes Landhaus?«
»Alle Leute ziehen nicht nach Pawlowsk. Mir hat Iwan Petrowitsch
Ptizyn eines von den Landhäusern überlassen, die ihm für ein Billiges
da zugefallen sind. Es ist ein hübscher Ort und hochgelegen und grün
und billig, und es herrscht da bon ton, und auch Musik ist da; darum
ziehen so viele nach Pawlowsk. Ich wohne übrigens nur in einem
Nebengebäude; das Landhaus selbst ...«
»Das haben Sie wohl vermietet?«
»N-n-nein. Noch nicht ... noch nicht definitiv.«
»Vermieten Sie es mir!« schlug der Fürst schnell vor.
Gerade darauf schien es Lebedjew abgesehen zu haben. Dieser Gedanke
war ihm wenige Augenblicke vorher durch den Kopf gegangen. Ein
Bedürfnis nach einem Mieter hatte er übrigens gar nicht mehr; ein
solcher hatte sich bereits gefunden und ihn benachrichtigt, er werde
das Landhaus vielleicht mieten. Lebedjew wußte bestimmt, daß er es
nicht »vielleicht«, sondern sicher mieten werde; aber jetzt war ihm auf
einmal ein seiner Meinung nach vielversprechender Gedanke gekommen, das
Landhaus dem Fürsten zu überlassen, unter Benutzung des Umstandes, daß
der bisherige Interessent sich nur unbestimmt ausgedrückt hatte. »Das
ist ja ein eigentümliches Zusammentreffen und eine ganz neue Wendung
der Dinge«, das war seine Empfindung. Er nahm den Vorschlag des Fürsten
ordentlich mit Entzücken an und machte auf dessen direkte Frage nach
dem Preis nur eine abwehrende Handbewegung.
»Nun, wie Sie wollen«, sagte der Fürst. »Ich werde mich erkundigen, was üblich ist, und Sie sollen nicht zu Schaden kommen.«
Sie verließen nunmehr beide den Garten.
»Ich könnte Ihnen ... ich könnte Ihnen ... wenn es Ihnen erwünscht
wäre, könnte ich Ihnen eine sehr interessante Mitteilung machen,
hochverehrter Fürst; ich könnte Ihnen etwas mitteilen, was sich auf
denselben Gegenstand bezieht«, murmelte Lebedjew, der glückselig neben
dem Fürsten einherscharwenzelte.
Der Fürst blieb
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