Der Idiot
fiel Lebedjew in großer Erregung
ein. »Mit einem Hund hat er mich in Moskau gehetzt, die ganze Straße
entlang, mit einem Jagdhund. Es war ein schreckliches Tier!«
»Sie halten mich für ein kleines Kind, Lebedjew. Sagen Sie mir im Ernst: hat sie ihn jetzt in Moskau verlassen?«
»Im Ernst, im Ernst, und wieder unmittelbar vor der Trauung. Der
zählte schon die Minuten; aber sie reiste hierher nach Petersburg und
kam geradewegs zu mir: ›Rette mich, beschütze mich, Lukjan‹, sagte sie,
›und sage dem Fürsten nichts ...!‹ Sie fürchtet sich vor Ihnen, Fürst,
noch mehr als vor ihm, und das ist das Rätselhafte!« Lebedjew hielt mit
schlauer Miene den Finger an die Stirn.
»Und jetzt haben Sie die beiden nicht wieder zusammengeführt?«
»Durchlauchtigster Fürst, was konnte ... was konnte ich dagegen tun?«
»Nun genug! Ich werde selbst alles in Erfahrung bringen. Sagen Sie mir nur: wo ist sie jetzt? Bei ihm?«
»O nein, ganz und gar nicht! Sie lebt immer noch ganz für sich. Sie
sagt: ›Ich bin frei‹, und wissen Sie, Fürst, das ist bei ihr immer der
Refrain: ›Ich bin noch vollkommen frei‹, sagt sie. Sie wohnt immer noch
in der Petersburgskaja 4 , im Haus meiner Schwägerin, wie ich Ihnen ja auch geschrieben habe.«
»Ist sie auch jetzt dort?«
»Ja, wenn sie nicht bei dem schönen Wetter in Pawlowsk ist, bei
Darja Alexejewna, in deren Landhaus. Sie sagt: ›Ich bin vollkommen
frei!‹ Noch gestern hat sie sich Nikolai Ardalionowitsch gegenüber sehr
ihrer Freiheit gerühmt. Ein übles Zeichen!«
Lebedjew schmunzelte.
»Ist Kolja oft bei ihr?«
»Er ist leichtsinnig und unberechenbar und nicht diskret.«
»Sind Sie in neuerer Zeit dagewesen?«
»Ich gehe alle Tage hin, alle Tage.«
»Also waren Sie auch gestern da?«
»N-nein, vorvorgestern.«
»Wie schade, daß Sie angetrunken sind, Lebedjew! Sonst hätte ich Sie etwas gefragt.«
»Oh, nicht die Spur betrunken bin ich!«
Lebedjew machte geradezu ein finsteres Gesicht.
»Sagen Sie mir: in welchem Zustand befand sie sich, als Sie sie verließen?«
»Sie suchte ...«
»Sie suchte?«
»Es war, als ob sie immer etwas suchte, als ob sie etwas verloren
hätte. Was die bevorstehende Ehe betrifft, so war ihr sogar der Gedanke
daran zuwider, und sie faßte die bloße Erwähnung derselben als
Beleidigung auf. An ihn selbst denkt sie nicht mehr als an ein Stückchen
Apfelsinenschale, das heißt: doch mehr, sie denkt an ihn mit Furcht und
Schrecken und verbietet einem sogar, von ihm zu reden; sie sehen
einander nur, wenn es unbedingt nötig ist ... und er empfindet das
außerordentlich schmerzlich! Aber sie wird ihrem Schicksal doch nicht
entgehen ...! Sie ist unruhig, spottlustig, launisch, zänkisch..«
»Launisch und zänkisch?«
»Ja, zänkisch; denn es fehlte das vorige Mal wenig daran, daß sie
mich wegen etwas, was ich gesagt hatte, an den Haaren gerissen hätte.
Ich wollte sie durch die Offenbarung des Johannes gesund machen.«
»Wie? Was?« fragte der Fürst, der sich verhört zu haben glaubte.
»Durch Vorlesen aus der Offenbarung des Johannes. Sie ist eine Dame
mit einem unruhigen Geist, hehe! Überdies habe ich die Beobachtung
gemacht, daß sie eine große Neigung zu ernsten, wenn auch abseits
gelegenen Gesprächsgegenständen hat. Sie liebt dergleichen und faßt es
sogar als ein Zeichen besonderer Hochachtung auf, wenn man von solchen
Dingen anfängt. Ja. Ich bin in der Auslegung der Offenbarung stark und
beschäftige mich damit schon seit fünfzehn Jahren. Sie stimmte mir
darin bei, daß wir jetzt bei dem dritten Pferd, dem Rappen, angelangt
sind und bei dem Reiter, der ein Maß in seiner Hand hat, da ja in
jetziger Zeit alles nach dem Maß und dem Vertrag geht und alle Menschen
nur ihr Recht suchen: ›Ein Maß Weizen um einen Denar und drei Maß
Gerste um einen Denar ...‹, und dann möchten sie sich noch einen freien
Geist und ein neues Herz und einen gesunden Leib und alle andern Gaben
obendrein bewahren. Aber auf Grund des bloßen Rechts können sie sich
das nicht bewahren, und danach folgt das fahle Pferd und der, dessen
Name Tod heißt, und nach ihm kommt dann die Hölle ... Darüber reden
wir, wenn wir zusammenkommen, und es hat bei ihr starke Wirkung getan.«
»Sie selbst glauben daran?« fragte der Fürst, indem er Lebedjew mit einem eigentümlichen Blick ansah.
»Ich glaube daran und lege es aus. Denn ich bin arm und nackt und
ein Atom im Strudel der Menschheit. Und wer achtet Lebedjew? Jeder
spottet über
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