Der Idiot
Gräfin
Dubarry meine Stirn bekreuzt hätte? Vor drei Tagen, Fürst, habe ich zum
erstenmal in meinem Leben ihre Biographie im Konversationslexikon
gelesen. Weißt du denn überhaupt, wer die Gräfin Dubarry war? Sag,
weißt du es oder nicht?«
»Na, du bist wohl der einzige, der das weiß!« murmelte der junge Mann spöttisch, aber etwas gezwungen.
»Das war eine Gräfin, die aus der Schande hervorgegangen war und
dann wie eine Königin regierte, und die von einer großen Kaiserin in
einem eigenhändigen Schreiben ›ma chère cousine‹ angeredet wurde. Ein
Kardinal, der päpstliche Nuntius, erbot sich beim lever du roi (weißt
du, was das ist: lever du roi?), ihr die seidenen Strümpfe persönlich
auf die nackten Füße zu ziehen, und meinte noch, das sei für ihn eine
große Ehre – so eine hohe, heilige Persönlichkeit! Weißt du das? Ich
sehe dir am Gesicht an, daß du es nicht weißt! Na, und wie ist sie
gestorben? Antworte, wenn du es weißt!«
»Scher dich weg! Laß mich in Ruh!«
»Gestorben ist sie in der Weise, daß nach all diesen Ehren der
Henker Sampson diese hohe Machthaberin auf die Guillotine schleppte,
unschuldig, zum Ergötzen der Pariser Fischweiber, und sie vor Angst gar
nicht begriff, was mit ihr vorging. Sie sah, daß er sie am Hals unter
das Messer bog und mit Fußtritten hinschob (die Weiber lachten dazu),
und sie schrie: ›Encore un moment, monsieur le bourreau, encore un
moment!‹ Das bedeutet: ›Warten Sie nur noch ein Augenblickchen, Herr
Bourreau, nur ein einziges Augenblickchen!‹ Und für dieses
Augenblickchen wird Gott ihr vielleicht verzeihen; denn man kann sich
nichts vorstellen, was für eine Menschenseele schlimmer wäre als diese
misère. Weißt du, was das Wort misère bedeutet? Na, siehst du wohl, die
schreckliche Lage, von der ich erzählt habe, das ist eben so eine
misère. Als ich von diesem Aufschrei der Gräfin und von diesem einen
Augenblickchen las, da hatte ich ein Gefühl, als ob man mir das Herz
mit einer Zange zwickte. Und was geht dich das an, du Wurm, daß ich vor
dem Zubettgehen in meinem Gebet ihrer, dieser großen Sünderin, gedacht
habe? Vielleicht habe ich es gerade deswegen getan, weil, solange die
Erde steht, für sie wahrscheinlich noch nie jemand seine Stirn bekreuzt
hat oder es sich überhaupt hat in den Sinn kommen lassen. Denn es wird
für sie in jener Welt eine angenehme Empfindung sein, daß sich ein
ebenso großer Sünder, wie sie, gefunden hat, der auch für sie
wenigstens ein einziges Mal auf Erden gebetet hat. Warum lachst du? Du
glaubst nicht, du Atheist! Aber woher hast du dein Wissen? Und du hast
das, was du erlauscht hast, auch noch lügnerisch entstellt; denn ich
habe nicht einfach nur für die Gräfin Dubarry gebetet; ich habe so
gesagt: ›O Gott, gib die ewige Ruhe der Seele der großen Sünderin
Gräfin Dubarry und allen, die ihr gleichen!‹ und das ist doch etwas
ganz anderes; denn es gibt viele solche großen Sünderinnen, die
warnende Beispiele für die Veränderlichkeit des Glücks sind und viel
gelitten haben und sich jetzt dort ängstigen und stöhnen und warten.
Und auch für dich und alle, die dir gleichen, für alle frechen,
unverschämten Gesellen deiner Art habe ich damals gebetet, wie du
wissen wirst, da du mich niemals bei meinem Gebet hast belauschen mögen
...«
»Na, nun hör nur auf; laß es genug sein; bete, für wen du willst;
hol dich der Teufel; warum bist du so ins Schreien hineingekommen?«
unterbrach ihn der Neffe ärgerlich.
»Er ist außerordentlich belesen, Fürst; haben Sie das schon gewußt?«
fügte er mit einem ungeschickten Lächeln hinzu. »Er liest jetzt immer
Memoiren und allerlei andere Bücher.«
»Ihr Onkel ist aber bei alledem kein herzloser Mensch«, bemerkte der Fürst etwas unwillig.
Dieser junge Mann wurde ihm sehr zuwider.
»Sie werden ihn uns am Ende noch durch Ihr Lob verderben! Sehen Sie
nur, wie er gleich die Hand aufs Herz legt und einen spitzen Mund
macht; das ist ihm süß eingegangen! Herzlos ist er nicht, meinetwegen;
aber ein Spitzbube ist er, das ist das Malheur; und außerdem ist er
auch noch ein Trunkenbold und ist wie jeder Mensch, der ein paar Jahre
lang getrunken hat, ganz aus dem Leim gegangen, so daß alles an ihm
knarrt. Die Kinder hat er allerdings lieb, und meine selige Tante hat
er gut behandelt ... Sogar mich hat er lieb, und er hat mir gewiß in
seinem Testament einen Teil seines Vermögens hinterlassen.«
»Nichts hinterlasse ich dir!« schrie Lebedjew
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