Der Idiot
wurde für ihn zuerst eine Gouvernante, dann ein Hauslehrer
angenommen; er erklärte übrigens, daß er sich zwar an alles erinnere,
aber nur über weniges in befriedigender Weise zu berichten vermöge, da
er sich über vieles seinerzeit nicht habe Rechenschaft geben können.
Die häufigen Krankheitsanfälle hätten ihn fast ganz zum Idioten gemacht
(der Fürst gebrauchte diesen Ausdruck: zum Idioten). Er erzählte
endlich, daß Pawlischtschew eines Tages in Berlin den Schweizer
Professor Schneider kennengelernt habe, der sich speziell mit diesen
Krankheiten beschäftige, in der Schweiz, im Kanton Wallis, eine
Heilanstalt besitze und dort nach seiner eigenen Methode Idiotie und
andere Geisteskrankheiten mit kaltem Wasser und gymnastischen Übungen
kuriere, und dabei seine Patienten auch unterrichte und überhaupt für
ihre geistige Entwicklung sorge; zu diesem Professor Schneider habe
Pawlischtschew ihn vor etwa vier Jahren nach der Schweiz geschickt, sei
aber selbst vor zwei Jahren plötzlich gestorben, ohne weitere
Anordnungen getroffen zu haben; Schneider habe ihm noch zwei Jahre lang
Unterhalt gewährt und ihn behandelt; er habe ihn zwar nicht völlig
geheilt, aber doch eine erhebliche Besserung seines Zustandes
herbeigeführt; zuletzt habe er ihn auf seinen eigenen Wunsch und
infolge eines eingetretenen Ereignisses jetzt nach Rußland geschickt.
Der General war sehr erstaunt. »Und Sie kennen bei uns in Rußland niemand, absolut niemand?« fragte er.
»Zur Zeit kenne ich niemand ... aber ich hoffe ... außerdem habe ich einen Brief erhalten ...«
»Aber Sie haben doch wenigstens«, unterbrach ihn der General, ohne
auf das, was der Fürst von einem Brief sagte, recht hinzuhören, »irgend
etwas gelernt, und Ihre Krankheit hindert Sie nicht, eine nicht gerade
mühevolle Stelle auf irgendeinem dienstlichen Gebiet anzunehmen?«
»Oh, daran wird sie mich gewiß nicht hindern. Und was eine Stelle
betrifft, so ist es sogar mein lebhafter Wunsch, eine solche zu
erhalten, weil ich selbst gern sehen möchte, wozu ich tauglich bin. An
meiner geistigen Bildung habe ich die ganzen vier Jahre lang beständig
gearbeitet, wiewohl nicht in regelrechter Form, sondern nach des
Professors eigenem System, und es ergab sich, daß ich dabei sehr viele
russische Bücher las.«
»Russische Bücher? Also können Sie Russisch lesen und schreiben, und zwar schreiben ohne orthographische Fehler?«
»Oh, das kann ich sehr wohl.«
»Vortrefflich! Und wie steht es mit der Handschrift?«
»Meine Handschrift ist vorzüglich. Hierin besitze ich vielleicht
sogar Talent; ich bin geradezu ein Kalligraph. Gestatten Sie, daß ich
Ihnen sofort etwas zur Probe schreibe!« sagte der Fürst eifrig.
»Haben Sie die Freundlichkeit! Es ist das sogar erforderlich ... Und
diese Ihre Bereitwilligkeit gefällt mir sehr, Fürst; Sie sind wirklich
sehr liebenswürdig.«
»Sie haben so prächtige Schreibutensilien: was für eine Menge
Bleistifte und Federn und wie kräftiges, prachtvolles Papier ...! Und
was haben Sie für ein wundervolles Arbeitszimmer! Diese Landschaft hier
kenne ich: es ist eine Ansicht aus der Schweiz. Ich glaube sicher, daß
der Maler das Bild nach der Natur gemalt hat und daß ich diese
Örtlichkeit gesehen habe: es ist aus dem Kanton Uri ...«
»Das kann leicht sein, wiewohl das Bild hier gekauft ist. Ganja, gib
dem Fürsten Papier; hier sind Federn und Papier. Bitte, setzen Sie sich
an dieses Tischchen! Was ist das?« sagte der General zu Ganja gewendet,
der unterdessen aus seinem Portefeuille eine Photographie in großem
Format herausgenommen hatte und sie ihm nun zeigte. »Ah, Nastasja
Filippowna! Hat sie dir das selbst geschickt? Selbst?« fragte er Ganja
lebhaft und mit dem größten Interesse.
»Sie hat es mir soeben gegeben, als ich da war, um ihr zu
gratulieren. Ich hatte sie schon lange darum gebeten. Ich weiß nicht,
ob das nicht etwa von ihrer Seite eine Anspielung darauf sein soll, daß
ich selbst mit leeren Händen, ohne ein Geschenk, an einem solchen Tag
zu ihr kam«, fügte Ganja mit einem unangenehmen Lächeln hinzu.
»Aber nein!« unterbrach ihn der General im Tone fester Überzeugung.
»Was ist das bei dir für eine seltsame Gedankenverbindung! Die sollte
eine solche Anspielung machen ... und dabei ist sie überhaupt ganz und
gar nicht eigennützig. Außerdem: was könntest du ihr schenken? Dazu
gehören ja doch Tausende! Etwa dein Bild? Apropos, hat sie dich noch
nicht um dein Bild gebeten?«
»Nein, das hat
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