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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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wie früher empfangen«, sagte
sich der Fürst im stillen.
    Das Jepantschinsche Landhaus war luxuriös im Schweizerstil gebaut
und auf allen Seiten mit Blumen und Blattpflanzen schön geschmückt. Auf
allen Seiten war es von einem kleinen, aber hübschen Blumengarten
umgeben. Alle saßen in der Veranda wie vor kurzem beim Fürsten; nur war
die Veranda etwas geräumiger und eleganter eingerichtet.
    Der Gegenstand des Gesprächs, das geführt wurde, schien nicht allen
sonderlich zu behagen; dieses Gespräch hatte, wie man merken konnte,
seinen Ursprung von einer hitzigen Debatte genommen, und alle hätten
gewiß gern das Thema gewechselt; aber Jewgeni Pawlowitsch schien um so
eigensinniger an ihm festzuhalten, ohne sich um die Empfindungen der
übrigen zu bekümmern, und es war, als ob durch die Ankunft des Fürsten
sein Eifer noch erhöht würde. Lisaweta Prokofjewna machte ein finsteres
Gesicht, obwohl sie nicht alles verstand. Aglaja, die abseits, fast in
einer Ecke, saß, ging nicht fort, hörte zu und schwieg hartnäckig.
    »Erlauben Sie«, sagte Jewgeni Pawlowitsch eifrig, »ich sage nichts
gegen den Liberalismus. Der Liberalismus ist keine Sünde; er ist ein
notwendiger Bestandteil des Ganzen, das ohne ihn zerfallen oder
absterben würde; der Liberalismus hat dieselbe Existenzberechtigung wie
der bestgesittete Konservatismus. Ich greife vielmehr den russischen
Liberalismus an und wiederhole noch einmal, daß ich ihn speziell
deswegen angreife, weil in Rußland der Liberale kein russischer Liberaler ist, sondern ein nichtrussischer
Liberaler. Zeigen Sie mir einen russischen Liberalen, und ich will mich
sogleich vor Ihren Augen mit ihm küssen.«
    »Wenn er Sie nur wird küssen wollen«, bemerkte Alexandra Iwanowna,
die sich in großer Erregung befand. Selbst ihre Wangen waren röter als
sonst.
    »Nun sieh mal an!« dachte Lisaweta Prokofjewna. »Sonst schläft und
ißt sie nur und ist gar nicht aufzurütteln, und dann richtet sie sich
einmal im Jahr auf und redet so lebhaft, daß man die Hände über dem
Kopf zusammenschlagen möchte.«
    Der Fürst nahm schon bei flüchtiger Beobachtung wahr, daß es
Alexandra Iwanowna stark mißfiel, daß Jewgeni Pawlowitsch in so
munterem Ton sprach, nämlich daß er über einen ernsten Gegenstand
sprach und anscheinend in Eifer geriet, dabei aber doch scherzte.
    »Ich habe soeben kurz vor Ihrer Ankunft, Fürst«, fuhr Jewgeni
Pawlowitsch fort, »die Behauptung aufgestellt, daß bei uns bisher die
Liberalen nur zwei Gesellschaftsschichten angehört haben: der früheren,
jetzt abgeschafften, gutsherrlichen und der seminaristischen. Und da
diese beiden Stände sich schließlich in richtige Kasten, in etwas von
der Nation völlig Abgesondertes verwandelten, und zwar je länger in um
so höherem Grade, von einer Generation zur andern immer mehr, so war
und ist auch alles, was sie getan haben und tun, ganz nichtnational ...«
    »Wie? Also wäre alles, was auf diesem Gebiet getan worden ist, nicht-russisch?« versetzte Fürst Schtsch.
    »Es ist nicht national; obgleich es von Russen getan ist, ist es
doch nicht national; weder unsere Liberalen noch unsere Konservativen
sind echte Russen, keiner ... Und seien Sie überzeugt, daß die Nation
nichts von dem anerkennen wird, was von den Gutsherren und Seminaristen
getan ist, weder jetzt noch später ...«
    »Nun, das ist ja nett! Wie kannst du nur eine so paradoxe Behauptung
verfechten, wenn anders du es überhaupt ernst meinst! Ich kann solchen
Angriffen auf den russischen Gutsherrn keine Berechtigung zuerkennen;
du selbst bist ja ein russischer Gutsherr!« erwiderte Fürst Schtsch.
sehr erregt.
    »Ich rede ja von dem russischen Gutsherrn auch nicht in dem Sinn,
wie Sie das annehmen. Das ist ein Stand, der alle Achtung verdient, und
wär's auch nur deswegen, weil ich zu ihm gehöre; besonders jetzt, wo er
aufgehört hat, eine Kaste zu sein ...«
    »Hat es etwa auch in der Literatur nichts Nationales gegeben?« unterbrach ihn Alexandra Iwanowna.
    »Ich bin mit der Literatur nicht vertraut; aber auch die russische
Literatur ist meiner Ansicht nach in ihrem ganzen Umfang
nicht-russisch, ausgenommen etwa Lomonosow, Puschkin und Gogol.«
    »Erstens ist das gerade nicht wenig, und zweitens stammt einer von
ihnen aus dem niederen Volk, und die beiden andern waren Gutsherren«,
versetzte Adelaida lachend.
    »Ganz richtig; aber triumphieren Sie nicht zu früh! Da es von allen
russischen Schriftstellern bisher nur diesen dreien gelungen ist,

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