Der Idiot
etwas
wirklich Eigenes zu sagen, etwas, was sie von keinem andern entlehnt
haben, so sind sie eben dadurch alle drei sofort national geworden.
Wenn ein Russe etwas Eigenes sagt, schreibt oder tut, etwas Eigenes,
das er von niemand entnommen und entlehnt hat, so wird er unfehlbar
national, selbst wenn er schlecht russisch spricht. Das ist für mich
ein Axiom. Aber wir sprachen ursprünglich nicht von der Literatur; wir
begannen von den Sozialisten zu sprechen, und durch sie hat das
Gespräch diesen Gang genommen; nun also, ich behaupte, daß wir keinen
einzigen russischen Sozialisten haben; es gibt keinen und hat keinen
gegeben, weil alle unsere Sozialisten aus den Gutsherren oder
Seminaristen hervorgegangen sind. Alle unsere bekanntesten,
renommiertesten Sozialisten, sowohl die hiesigen als die im Ausland
lebenden, sind weiter nichts als liberale Gutsherren aus den Zeiten der
Leibeigenschaft. Warum lachen Sie? Geben Sie mir ihre Bücher, ihre
Lehren, ihre Memoiren, und obgleich ich kein zünftiger Kritiker bin,
mache ich mich anheischig, Ihnen eine überzeugende Kritik abzufassen,
in der ich sonnenklar beweisen werde, daß jede Seite ihrer Bücher,
Broschüren und Memoiren mit höchster Wahrscheinlichkeit von einem
früheren russischen Gutsherrn geschrieben ist. Ihr Zorn, ihre
Entrüstung, ihr Witz, alles weist auf Gutsherren als Verfasser hin
(sogar auf solche von der Art Famusows 2 );
nicht minder ihr Entzücken, ihre Tränen, die vielleicht wahr und echt
sind. Alles stimmt zu Gutsherren, oder auch zu Seminaristen ... Sie
lachen wieder, und auch Sie lachen, Fürst? Sind auch Sie nicht meiner
Meinung?«
In der Tat lachten alle; auch der Fürst lächelte.
»Ich kann noch nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich Ihrer Meinung
bin oder nicht«, erwiderte der Fürst, indem er plötzlich aufhörte zu
lächeln und wie ein ertappter Schuljunge zusammenfuhr. »Aber ich
versichere Ihnen, daß ich Ihnen mit außerordentlichem Vergnügen zuhöre
...« Als er dies sagte, konnte er kaum Luft holen, und es trat ihm
sogar kalter Schweiß auf die Stirn. Dies waren die ersten Worte, die er
sprach, seit er sich hingesetzt hatte. Er wollte den Versuch machen,
sich im Kreis der Anwesenden umzuschauen; aber er wagte es nicht;
Jewgeni Pawlowitsch hatte seine Kopfbewegung bemerkt und lächelte.
»Ich werde Ihnen eine Tatsache mitteilen, meine Herrschaften«, fuhr
er in dem früheren Ton fort, das heißt scheinbar mit großem Eifer und
großer Wärme, gleichzeitig aber beinah lachend, vielleicht über seine
eigenen Worte, »eine Tatsache, eine Beobachtung, sogar eine Entdeckung,
die ich die Ehre habe, mir selbst zuzuschreiben und sogar mir ganz
allein; wenigstens ist darüber nirgends etwas gesagt oder geschrieben
worden. In dieser Tatsache kommt das ganze Wesen jener Art von
russischem Liberalismus, von der ich rede, zum Ausdruck. Erstens: was
ist denn der Liberalismus, allgemein gesprochen, anderes als ein
Angriff (ob ein vernünftiger oder irrtümlicher, das ist eine andere
Frage) auf die bestehende Ordnung der Dinge? Nicht wahr? Die von mir
beobachtete Tatsache besteht nur darin, daß der russische Liberalismus
nicht ein Angriff auf die bestehende Ordnung der Dinge ist, sondern ein
Angriff auf das Wesen unserer Dinge selbst, auf die Dinge selbst und
nicht nur auf ihre Ordnung, ein Angriff nicht auf russische
Einrichtungen, sondern auf Rußland selbst. Mein Liberaler ist dahin
gelangt, die Existenzberechtigung Rußlands selbst zu verneinen, das
heißt, er haßt und schlägt seine eigene Mutter. Alles, was in Rußland
unglücklich ausfällt und mißlingt, bringt ihn zum Lachen und versetzt
ihn beinah in Entzücken. Er haßt die Volkssitten, die russische
Geschichte und alles. Wenn es für ihn eine Entschuldigung gibt, so kann
sie höchstens darin bestehen, daß er nicht weiß, was er tut, und seinen
Haß gegen Rußland für den fruchtbarsten Liberalismus hält (oh, Sie
können bei uns nicht selten einen Liberalen finden, dem die übrigen
Beifall klatschen, und der vielleicht in Wirklichkeit der
abgeschmackteste, stumpfsinnigste und gefährlichste Konservative ist,
ohne selbst eine Ahnung davon zu haben!). Diesen Haß gegen Rußland
hielten noch vor nicht allzu langer Zeit manche unserer Liberalen
beinah für die wahre Vaterlandsliebe und rühmten sich, besser als
andere Leute einzusehen, worin diese bestehen müsse; aber jetzt sind
sie schon aufrichtiger geworden und haben sich sogar des Wortes
›Vaterlandsliebe‹ zu schämen
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