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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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und dort nichts zu erklären vermag, und wenn
ich nichts gehört habe und du nichts gehört hast und jener nichts
gehört hat und ein vierter ebenfalls nichts gehört hat: wer hat denn
schließlich etwas davon gehört, frage ich dich? Wie soll man das deiner
Ansicht nach erklären, wenn man nicht sagen will, die Sache sei zur
Hälfte eine Luftspiegelung, etwas nicht Existierendes, in der Art wie
das Mondlicht oder andere Visionen?«
    »Sie ist geisteskrank«, murmelte der Fürst, der sich plötzlich mit Schmerz an den ganzen Vorfall von vorhin erinnerte.
    »Das habe ich auch geglaubt, wenn du damit dieses Weib meinst. Auch
mir war dieser Gedanke gekommen, und ich konnte infolgedessen ruhig
schlafen. Aber jetzt sehe ich, daß sie doch sehr folgerichtig denkt,
und glaube nicht mehr an ihre Geisteskrankheit. Sie ist allerdings ein
zanklustiges Weib, dabei aber scharfsinnig und ganz und gar nicht
verrückt. Ihre heutigen scharfen Bemerkungen über Kapiton Alexejewitsch
beweisen das deutlich. Es liegt ihrerseits ein gaunerisches, das heißt
zumindestens ein jesuitisches Verfahren vor, bei dem sie bestimmte
Ziele verfolgt.«
    »Was ist das für ein Kapiton Alexejewitsch?«
    »Ach, mein Gott, Ljow Nikolajewitsch, du hörst ja gar nicht zu! Ich
habe ja damit angefangen, dir von Kapiton Alexejewitsch zu erzählen;
ich bin so erschüttert, daß mir noch jetzt Arme und Beine zittern.
Darum bin ich ja auch heute so lange in der Stadt geblieben. Es handelt
sich um Kapiton Alexejewitsch Radomski, den Onkel Jewgeni Pawlowitschs.«
    »Nun, was ist mit ihm?« rief der Fürst.
    »Er hat sich erschossen, heute morgen um sieben Uhr. Ein allgemein
geachteter Greis, siebzigjährig, ein Epikureer. Und ganz wie sie gesagt
hat: es fehlen Staatsgelder, eine bedeutende Summe!«
    »Woher hat sie denn ...«
    »Woher sie das erfahren hat? Haha! Es hat sich ja um sie schon ein
ganzer Stab gebildet, sowie sie nur hier erschienen ist. Weißt du
nicht, was für Leute sie jetzt besuchen und sich um ›die Ehre ihrer
Bekanntschaft‹ bemühen? Sie konnte das heute auf die einfachste Weise
von Leuten, die aus der Stadt gekommen waren, erfahren; denn jetzt weiß
es schon ganz Petersburg und hier halb Pawlowsk oder auch schon ganz
Pawlowsk. Aber wie fein war ihre Bemerkung über die Uniform (sie ist
mir wiedererzählt worden), das heißt in bezug darauf, daß Jewgeni
Pawlowitsch rechtzeitig den Abschied genommen habe! Das war eine
teuflische Anspielung! Nein, das weist nicht auf Geisteskrankheit hin.
Ich kann natürlich nicht glauben, daß Jewgeni Pawlowitsch von der
Katastrophe etwas im voraus hätte wissen können, das heißt, daß am
soundsovielten, um sieben Uhr morgens und so weiter. Aber er konnte all
das wenigstens ahnen. Und ich und wir alle, auch Fürst Schtsch.,
rechneten darauf, daß der Onkel ihm noch eine hübsche Erbschaft
hinterlassen werde! Es ist furchtbar! Geradezu furchtbar! Versteh mich
übrigens recht: ich spreche gegen Jewgeni Pawlowitsch keinerlei
Beschuldigung aus und beeile mich, dir das ausdrücklich zu erklären;
aber verdächtig ist die Sache trotz alledem. Fürst Schtsch. ist tief
erschüttert. Alles ist so überraschend hereingebrochen.«
    »Aber was ist denn an Jewgeni Pawlowitschs Benehmen verdächtig?«
    »Gar nichts! Er hat sich in durchaus anständiger Weise benommen. Ich
habe ja auch nichts Derartiges angedeutet. Sein eigenes Vermögen, denke
ich, ist unversehrt. Lisaweta Prokofjewna will davon natürlich nichts
hören ... Aber die Hauptsache sind all diese Familienszenen oder,
richtiger gesagt, all diese Zänkereien, man weiß gar nicht, wie man es
nennen soll. Du bist ja (das kann man wahrheitsgemäß sagen) ein Freund
unseres Hauses, Ljow Nikolajewitsch; nun denk dir einmal, eben kommt
zur Sprache, wiewohl nicht in genauer, zuverlässiger Form, daß Jewgeni
Pawlowitsch schon vor mehr als einem Monat Aglaja einen Heiratsantrag
gemacht und von ihr in aller Form einen Korb erhalten hat.«
    »Das ist nicht möglich!« rief der Fürst lebhaft.
    »Aber weißt du denn vielleicht etwas darüber? Siehst du, Teuerster«,
sagte der General, indem er erschrocken zusammenfuhr und auf dem Fleck
wie angenagelt stehenblieb, »ich habe dir vielleicht unpassenderweise
mehr gesagt, als ich hätte sagen sollen; aber das ist mir so
entschlüpft, weil du ... weil du ... man kann sagen, weil du ein
solcher Mensch bist. Vielleicht weißt du irgend etwas Besonderes?«
    »Ich weiß nichts ... von Jewgeni Pawlowitsch«, murmelte der

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