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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Fürst.
    »Auch ich weiß nichts! Mich ... mich, lieber Freund, behandeln alle
geradezu, als ob ich schon tot und begraben wäre und von nichts mehr zu
wissen brauchte, und können dabei gar nicht verstehen, daß das für
einen Menschen peinlich ist, und daß ich das nicht ertragen kann. Eben
habe ich da eine Szene durchgemacht, es war schrecklich! Ich rede mit
dir, wie wenn du mein Sohn wärst. Die Hauptsache ist: Aglaja macht sich
geradezu über ihre Mutter lustig. Daß sie anscheinend vor einem Monat
Jewgeni Pawlowitsch einen Korb gegeben und daß zwischen ihnen eine
ziemlich formelle Auseinandersetzung stattgefunden hat, haben uns die
Schwestern als Vermutung mitgeteilt ... übrigens als bestimmte
Vermutung. Aber sie ist ja ein so eigenwilliges, phantastisches Wesen,
daß es gar nicht zu sagen ist! Sie besitzt die prächtigsten,
glänzendsten Eigenschaften des Geistes und Herzens; gewiß, zugegeben;
aber dabei ist sie launisch und spottlustig, kurz, ein reiner Kobold,
und hat immer phantastische Einfälle. Über ihre Mutter hat sie sich
jetzt eben lustig gemacht, ihr gerade ins Gesicht, und ebenso über ihre
Schwestern und den Fürsten Schtsch. Von mir brauche ich erst gar nicht
zu reden; über mich macht sie sich eigentlich fortwährend lustig; aber,
weißt du, ich liebe sie doch und habe es sogar gern, daß sie sich über
unsereinen lustig macht – und wie es scheint, liebt mich dieser Kobold
deswegen ganz besonders, das heißt mehr, als sie alle andern liebt. Ich
möchte darauf wetten, daß sie sich auch über dich schon lustig gemacht
hat. Ich fand euch soeben im Gespräch begriffen, als ich von der
erregten Szene, die vorher oben stattgefunden hatte, herunterkam; da
saß sie mit dir zusammen, als ob nicht das geringste vorgefallen wäre.«
    Der Fürst wurde furchtbar rot und preßte seine rechte Hand zusammen; aber er schwieg.
    »Mein lieber, guter Ljow Nikolajewitsch!« sagte der General auf
einmal mit warmer Empfindung. »Ich ... und sogar Lisaweta Prokofjewna
selbst (die übrigens wieder angefangen hat auf dich zu schimpfen und
zugleich in zweiter Linie auch auf mich, ich weiß nicht weswegen
eigentlich), wir lieben dich trotz alledem, wir lieben und achten dich
aufrichtig, trotz aller Äußerlichkeiten. Du mußt aber selbst zugeben,
lieber Freund, du mußt aber selbst zugeben: was ist das auf einmal für
ein Rätsel und für ein Ärger zu hören, wie dieser kaltblütige Kobold
(denn sie stand vor ihrer Mutter da mit einer Miene tiefster Verachtung
für all unsere Fragen und namentlich für die meinigen, weil ich, hol's
der Teufel, die Dummheit begangen hatte, Strenge herauskehren zu
wollen, da ich doch das Oberhaupt der Familie bin – na, das war eben
eine Dummheit), wie dieser kaltblütige Kobold auf einmal lächelnd
erklärt, daß diese ›Geisteskranke‹ (so drückte sie sich aus, und es
kommt mir merkwürdig vor, daß sie sich desselben Wortes bediente wie
du; ›habt ihr denn das noch nicht gemerkt?‹ sagte sie), daß diese
Geisteskranke ›es sich in den Kopf gesetzt hat, mich um jeden Preis mit
Ljow Nikolajewitsch zu verheiraten, und zu diesem Zweck Jewgeni
Pawlowitsch aus unserm Haus herausschaffen möchte‹.
    Mehr sagte sie nicht; sie gab keine weiteren Erklärungen, lachte für
sich, wir rissen erstaunt den Mund auf, sie ging hinaus und schlug die
Tür hinter sich zu. Dann erzählten mir die Meinigen von der Szene, die
sich vorhin zwischen ihr und dir abgespielt hat ... und ... und ...
höre mal, lieber Fürst, du bist ein sehr verständiger Mensch und nicht
empfindlich, das habe ich an dir wahrgenommen, aber ... werde nicht
böse: sie macht sich, weiß Gott, über dich lustig. Wie ein Kind macht
sie sich über andere Leute lustig, und darum sei ihr nicht böse, aber
es verhält sich entschieden so. Mach dir darüber weiter keine Gedanken
– sie hält dich und uns alle einfach zum Narren, aus Langeweile. Aber
nun lebe wohl! Du kennst doch unsere Gesinnung? Unsere herzliche
Gesinnung gegen dich? Die ist unwandelbar, für alle Zeit und in jeder
Hinsicht ... aber ... ich muß jetzt hier abbiegen; auf Wiedersehen!
Selten in meinem Leben habe ich mich so unbehaglich gefühlt wie jetzt
... O weh, ist das eine Sommerfrische!«
    Als der Fürst an der Straßenkreuzung allein geblieben war, blickte
er sich nach allen Seiten um, ging schnell über die Straße hinüber,
trat nahe an das erleuchtete Fenster eines Landhauses heran, faltete
einen kleinen Zettel auseinander, den er während des ganzen

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