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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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noch immer und schaute mich mit demselben Lächeln
an. Ich drehte mich zornig im Bett herum, stützte mich ebenfalls mit
dem Ellbogen auf das Kopfkissen und beschloß absichtlich, auch
meinerseits zu schweigen, und wenn wir noch so lange so dasitzen
sollten. Aus irgendeinem Grund wollte ich durchaus, daß er zuerst
anfangen sollte zu reden. Ich glaube, so vergingen etwa zwanzig
Minuten. Plötzlich kam mir der Gedanke: wie, wenn das nicht Rogoschin
ist, sondern eine Erscheinung?
    Weder in meiner Krankheit noch sonst je in der vorhergehenden Zeit
hatte ich eine Erscheinung gesehen; aber ich hatte immer, schon seit
meiner Knabenzeit, gemeint, und das meinte ich auch jetzt, das heißt
noch vor kurzem, wenn ich auch nur ein einziges Mal eine Erscheinung
sähe, so würde ich auf der Stelle sterben; und zwar meinte ich das,
obwohl ich an keine Erscheinungen glaube. Aber als mir der Gedanke kam,
daß dies nicht Rogoschin, sondern nur eine Erscheinung sei, so erschrak
ich, wie ich mich erinnere, gar nicht darüber. Noch mehr: ich wurde
darüber sogar zornig. Sonderbar war auch das, daß die Beantwortung der
Frage, ob das eine Erscheinung sei oder Rogoschin selbst, mich
eigentlich gar nicht so beschäftigte und beunruhigte, wie das in der
Natur der Sache zu liegen schien; ich glaube, daß ich damals an etwas
ganz anderes dachte. Es interessierte mich zum Beispiel weit mehr,
warum Rogoschin, der vorhin in Schlafrock und Pantoffeln gewesen war,
jetzt einen Frack, eine weiße Weste und eine weiße Krawatte trug. Es
tauchte in meinem Kopf auch der Gedanke auf: wenn das eine Erscheinung
war und ich mich nicht vor ihr fürchtete, warum sollte ich dann nicht
aufstehen und zu ihr hingehen und mich selbst vergewissern? Vielleicht
wagte ich es übrigens auch nicht und fürchtete mich doch. Aber sowie
ich auf den Gedanken gekommen war, daß ich mich fürchtete, war es mir,
als ob man mir mit einem Stück Eis über den ganzen Körper führe; ich
fühlte eine Kälte im Rücken, und die Knie zitterten mir. Gerade in
diesem Augenblick ließ Rogoschin, wie wenn er erraten hätte, daß ich
mich fürchtete, den Arm, mit dem er sich aufgestützt hatte, sinken,
richtete sich gerade und öffnete den Mund, wie wenn er loslachen
wollte; dabei sah er mich starr an. Mich ergriff eine solche Wut, daß
ich mich wirklich auf ihn stürzen wollte; aber da ich mir fest
vorgenommen hatte, daß ich nicht zuerst anfangen wollte zu reden, so
blieb ich im Bett, um so mehr, da ich immer noch nicht im klaren
darüber war, ob es Rogoschin selbst sei oder nicht.
    Ich erinnere mich nicht genau, wie lange das dauerte; auch habe ich
keine sichere Erinnerung daran, ob ich manchmal auf einige Minuten das
Bewußtsein verlor oder nicht. Endlich jedoch stand Rogoschin auf,
musterte mich ebenso langsam und aufmerksam wie vorher, als er
hereinkam, lächelte aber nicht mehr und ging leise, beinah auf den
Zehen, zur Tür, öffnete sie und ging hinaus. Ich stand nicht vom Bett
auf; ich erinnere mich nicht, wie lange ich noch mit offenen Augen
dalag und nachdachte; Gott weiß, worüber ich nachdachte; ebensowenig
erinnere ich mich, wie mir das Bewußtsein schwand und ich einschlief.
Am andern Morgen erwachte ich, als nach neun Uhr an meine Tür geklopft
wurde. Ich hatte ein für allemal die Anordnung getroffen, wenn ich
nicht selbst bis neun Uhr die Tür öffnete und nach Tee riefe, so solle
Matrona bei mir anklopfen. Als ich ihr die Tür aufmachte, kam mir
sofort der Gedanke: wie hat er nur hereinkommen können, da doch die Tür
verschlossen war? Ich erkundigte mich und überzeugte mich, daß es für
den wirklichen Rogoschin unmöglich gewesen war, hereinzukommen, da all
unsere Türen zur Nacht zugeschlossen werden.
    Dieses eigenartige Erlebnis, das ich so ausführlich erzählt habe,
war nun auch die Ursache, weshalb ich mich endgültig entschloß. Diesen
endgültigen Entschluß führte also nicht die Logik, nicht eine logische
Überzeugung herbei, sondern der Ekel. Es war mir unmöglich, in einem
Leben zu verharren, welches so seltsame, für mich beleidigende Formen
annahm. Diese Gespenstererscheinung hatte mich erniedrigt. Ich konnte
mich nicht einer dunklen Macht unterordnen, die die Gestalt einer
Tarantel annahm. Und erst dann, als ich (die Dämmerung war schon
hereingebrochen) zum festen endgültigen Entschluß gelangt war, erst
dann wurde mir leichter ums Herz. Dies war nur das erste Moment; um das
zweite Moment zu erlangen, fuhr ich nach Pawlowsk; aber das ist

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