Der Idiot
bereits
hinreichend klargestellt.
Fußnoten
1 Heute liegen die Hügel innerhalb Moskaus; sie werden Lenin-Berge genannt. (A.d. Verlages)
VII
Ich besaß eine kleine Taschenpistole, die ich mir noch als Kind
angeschafft hatte, in jenem komischen Lebensalter, wo man auf einmal
anfängt, an Geschichten von Duellen und räuberischen Überfällen
Gefallen zu finden, und wo ich mir ausmalte, wie ich zum Duell
herausgefordert werden und mit welchem edlen Anstand ich vor der
Pistole des Gegners dastehen würde. Vor einem Monat habe ich sie mir
wieder angesehen und in Bereitschaft gesetzt. In dem Kasten, in dem sie
lag, fanden sich zwei Kugeln und im Pulverhorn Pulver für drei Schüsse.
Die Pistole ist ein elendes Ding; sie schießt seitwärts und trägt nur
auf fünfzehn Schritt; aber sie kann doch wohl einen Schädel
zerschmettern, wenn man sie dicht an die Schläfe setzt.
Ich beschloß, in Pawlowsk bei Sonnenaufgang zu sterben und dazu in
den Park zu gehen, um die Bewohner der Landhäuser nicht zu stören.
Meine ›Erklärung‹ wird der Polizei die ganze Sache hinreichend
klarlegen. Freunde der Psychologie, und wer sonst Lust hat, mögen aus
ihr alle ihnen beliebigen Schlüsse ziehen. Ich würde jedoch nicht
wünschen, daß dieses Manuskript der Öffentlichkeit übergeben würde. Ich
bitte den Fürsten, ein Exemplar für sich zu behalten und ein zweites
Aglaja Iwanowna Jepantschina zu geben. Dies ist mein Wille. Ich
vermache mein Skelett der medizinischen Akademie zum Besten der
Wissenschaft.
Ich erkenne keine Richter über mir an und weiß, daß ich jetzt
außerhalb des Machtbereichs eines jeden Gerichtes stehe. Erst neulich
noch belustigte mich folgende Vorstellung: wenn es mir jetzt auf einmal
in den Sinn käme, einen beliebigen Menschen zu töten, meinetwegen zehn
Menschen zugleich, oder sonst eine Handlung zu begehen, die in dieser
Welt für besonders schrecklich gilt, in welche Verlegenheit würde dann
das Gericht mir gegenüber kommen in Anbetracht dessen, daß ich nur noch
zwei bis drei Monate zu leben habe und die Folter und die körperlichen
Mißhandlungen abgeschafft sind? Ich würde behaglich in einem
Krankenhaus sterben, in einem warmen Zimmer und unter der Obhut eines
aufmerksamen Arztes, und es vielleicht weit behaglicher und wärmer
haben als bei mir zu Hause. Ich verstehe nicht, warum Leuten, die sich
in gleicher Lage befinden wie ich, nicht derselbe Gedanke in den Kopf
kommt, wenn auch nur zum Scherz. Vielleicht kommt er ihnen übrigens
auch in den Kopf; heitere Leute gibt es ja auch bei uns viele.
Aber wenn ich auch kein Gericht über mir anerkenne, so weiß ich
doch, daß man mich richten wird, wenn ich bereits ein tauber und
stummer Angeklagter sein werde. Ich will nicht aus der Welt gehen, ohne
ein Wort der Entgegnung zurückzulassen, ein freies Wort, ein Wort, das
mir nicht abgenötigt ist; nicht zu meiner Entschuldigung, o nein! ich
brauche niemand um Verzeihung zu bitten und für nichts; sondern
einfach, weil ich es so wünsche.
Ich setze zunächst einen sonderbaren Gedanken hierher: wer könnte
mir jetzt unter Berufung auf irgendein Recht oder irgendein inneres
Gefühl das Recht bestreiten wollen, über diese zwei, drei Wochen, die
ich noch Frist habe, nach meinem Belieben zu verfügen? Welches Gericht
hat sich darum zu kümmern? Wer hat ein Interesse daran, daß ich nicht
nur zum Tode veurteilt bin, sondern auch wohlgesittet den
Hinrichtungstermin abwarte? Kann das wirklich jemand verlangen? Etwa um
der Moral willen? Wenn ich mir in der Blüte der Gesundheit und Kraft
das Leben nehmen wollte, das ›meinem Nächsten noch nützlich sein
könnte‹ und so weiter, dann würde ich es noch verstehen, daß moralisch
denkende Leute auf Grund der alten Anschauung es als tadelnswert
ansähen, daß ich über mein Leben, ohne jemand um Erlaubnis zu fragen,
Verfügung träfe, oder was sie sonst noch vorbringen möchten. Aber
jetzt, jetzt, wo mir der Hinrichtungstermin bereits verkündigt ist?
Welche Moral kann denn außer dem Leben des Todeskandidaten auch noch
das letzte Röcheln beanspruchen, mit dem er den letzten Lebenshauch von
sich gibt, während er die Trostworte des Fürsten anhört, der in seinen
christlichen Beweisen sich sicher zu dem glücklichen Gedanken
versteigen wird, daß es im Grunde für den Betreffenden sogar das beste
ist, wenn er stirbt. (Christen von seinem Schlag versteigen sich immer
zu diesem Gedanken; das ist ihr liebstes Steckenpferd.) Und was wollen
diese Menschen immer
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