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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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leuchtenden
Baumwipfeln hinblickte und, zum Fürsten gewendet, mit der Hand auf sie
wie auf ein Wunder hinwies. »Sie ist aufgegangen!«
    »Haben Sie denn gedacht, sie würde nicht aufgehen?« bemerkte Ferdyschtschenko.
    »Das verspricht wieder Hitze für den ganzen Tag«, murmelte Ganja
lässig und ärgerlich; er hielt den Hut in der Hand, reckte sich und
gähnte. »Die Trockenheit scheint den ganzen Monat anzuhalten ...!
Wollen wir gehen, Ptizyn?«
    Ippolit wurde, als er ihn so reden hörte, fast starr vor Staunen;
auf einmal erbleichte er furchtbar und begann am ganzen Leib zu zittern.
    »Sie bringen die Gleichgültigkeit, mit der Sie mich kränken wollen,
in recht ungeschickter Weise zum Ausdruck«, wandte er sich an Ganja und
sah ihn dabei starr an. »Sie sind ein Nichtswürdiger!«
    »Na, weiß der Teufel, was das vorstellen soll, sich so
aufzuknöpfen!« schrie Ferdyschtschenko. »Was ist das für eine unerhörte
Schwachmütigkeit!«
    »Er ist einfach ein Narr«, sagte Ganja.
    Ippolit hatte wieder ein wenig Kraft gesammelt.
    »Ich verstehe das, meine Herren«, begann er, immer noch wie vorher
zitternd und bei jedem Wort stockend, »daß ich Ihre persönliche Rache
verdient habe, und ... ich bedaure, Sie mit diesen Fieberphantasien«
(er wies auf das Manuskript) »halbtot gequält zu haben. Übrigens
bedaure ich, daß es mir nicht gelungen ist, Sie ganz totzuquälen ...«
(Er lächelte einfältig.) »Habe ich Sie totgequält, Jewgeni
Pawlowitsch?« fragte er diesen, sich plötzlich zu ihm herumwendend.
»Habe ich Sie totgequält oder nicht? Antworten Sie!«
    »Es war etwas zu weit ausgesponnen; aber im übrigen ...«
    »Sagen Sie alles! Lügen Sie wenigstens ein einziges Mal in Ihrem Leben nicht!« rief Ippolit zitternd in befehlendem Ton.
    »Oh, mir ist die Sache ganz gleichgültig! Bitte, tun Sie mir den
Gefallen und lassen Sie mich in Ruhe!« erwiderte Jewgeni Pawlowitsch
und wandte sich geringschätzig ab.
    »Gute Nacht, Fürst!« sagte Ptizyn, zu diesem herantretend.
    »Aber er wird sich gleich erschießen! Was machen Sie denn! Sehen Sie
ihn doch nur an!« rief Wjera, stürzte in größter Angst zu Ippolit hin
und faßte ihn sogar an den Armen. »Er hat ja gesagt, bei Sonnenaufgang
wolle er sich erschießen! Was machen Sie denn!«
    »Er wird sich nicht erschießen!« murmelten einige spöttisch, darunter auch Ganja.
    »Meine Herren, nehmen Sie sich in acht!« rief Kolja und faßte
Ippolit ebenfalls beim Arm. »Sehen Sie ihn nur an! Fürst! Fürst, warum
tun Sie denn nichts?«
    Um Ippolit drängten sich Wjera, Kolja, Keller und Burdowski; alle vier hatten ihn an den Armen gepackt.
    »Er hat ein Recht ... ein Recht ...«, murmelte Burdowski, der übrigens ebenfalls ganz fassungslos war.
    »Erlauben Sie, Fürst, was wollen Sie nun anordnen?« fragte Lebedjew hinzutretend; er war betrunken und bis zur Frechheit erbost.
    »Was ich anordnen will?«
    »Nein, erlauben Sie; ich bin der Hausherr, obgleich ich es an
Achtung Ihnen gegenüber nicht fehlen lassen will ... Allerdings sind
auch Sie hier Hausherr; aber ich will nicht, daß so etwas in meinem
eigenen Haus ... Jawohl.«
    »Er wird sich nicht erschießen; der Junge treibt nur Possen!« rief
ganz unerwartet General Iwolgin entrüstet und mit großartiger Würde.
    »Der General hat's getroffen!« stimmte Ferdyschtschenko bei.
    »Das weiß ich, daß er sich nicht erschießen wird, General, hochverehrter General; aber doch ... denn ich bin der Hausherr.«
    »Hören Sie mal, Herr Terentjew«, sagte auf einmal Ptizyn, nachdem er
sich von dem Fürsten verabschiedet hatte, und streckte Ippolit seine
Hand hin; »Sie reden ja wohl in Ihrem Heft von Ihrem Skelett und
vermachen es der Akademie? Meinen Sie damit Ihr eigenes Skelett?
Vermachen Sie also der Akademie Ihre eigenen Knochen?«
    »Ja, meine Knochen ...«
    »Soso. Sonst wäre nämlich ein Mißverständnis möglich. Man sagt, ein solcher Fall sei bereits vorgekommen.«
    »Warum hänseln Sie ihn?« rief der Fürst.
    »Die Tränen kommen ihm schon«, fügte Ferdyschtschenko hinzu.
    Aber Ippolit weinte ganz und gar nicht. Er wollte sich von seinem
Platz rühren; aber die vier Personen, die ihn umringten, griffen
gleichzeitig nach seinen Armen. Man hörte Lachen.
    »Das hat er ja gerade gewollt, daß man ihn bei den Armen halten
sollte; dazu hat er ja sein Heft vorgelesen«, bemerkte Rogoschin. »Lebe
wohl, Fürst! Ach, ich habe zu lange gesessen; die Knochen tun mir weh.«
    »Wenn Sie sich wirklich haben erschießen

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