Der Idiot
Besinnung kommen, sich über die Maßen
schämen, den Fürsten im Verdacht tiefen Mitleids mit ihm haben und sich
beleidigt fühlen werde. »Habe ich auch nicht schlecht daran getan, daß
ich ihn bis zu solcher Begeisterung kommen ließ?« fragte sich der Fürst
beunruhigt, konnte sich aber im nächsten Augenblick nicht mehr halten
und brach in ein gewaltiges, wohl zehn Minuten anhaltendes Gelächter
aus. Er wollte sich wegen dieses Gelächters Selbstvorwürfe machen, sah
aber sofort ein, daß er dazu keinen Anlaß habe, weil ihm ja der General
unendlich leid tat. Seine Ahnung ging in Erfüllung. Schon am Abend
desselben Tages erhielt er einen sonderbaren Brief, der ebenso kurz wie
energisch war. Der General teilte ihm darin mit, daß er sich auch von
ihm für alle Zeiten trenne; er achte ihn und sei ihm dankbar; aber auch
von ihm könne er nicht »Mitleidsbezeigungen annehmen, die die Würde
eines ohnehin schon unglücklichen Mannes noch weiter herabdrückten«.
Als der Fürst hörte, daß der Alte sich bei Nina Alexandrowna
eingeschlossen habe, fühlte er sich seinetwegen beinahe beruhigt. Aber
wir haben bereits gesehen, daß der General auch bei Lisaweta
Prokofjewna Unheil anrichtete. Wir können hier keine Einzelheiten
mitteilen; aber wir bemerken in aller Kürze, daß der Kernpunkt bei
dieser Zusammenkunft darin bestand, daß der General Lisaweta
Prokofjewna in Angst versetzte und durch seine bitteren Andeutungen in
betreff Ganjas ihre Entrüstung erregte. Er wurde mit Schimpf und
Schande aus dem Haus gewiesen. Das war der Grund, weshalb er dann eine
so schlechte Nacht und einen so schlechten Morgen hatte, allen Verstand
verlor und zuletzt beinah geisteskrank auf die Straße lief.
Kolja begriff immer noch nicht recht, was eigentlich vorging, und
hoffte sogar durch Strenge etwas bei seinem Vater zu erreichen. »Na,
was denken Sie denn nun eigentlich, wohin wir unsere Schritte lenken
sollen, General?« fragte er. »Zum Fürsten wollen Sie nicht; mit
Lebedjew haben Sie sich verzankt; Geld haben Sie nicht, und ich habe
nie welches: da sitzen wir nun jetzt auf dem Trockenen, mitten auf der
Straße.«
»Man sitzt angenehmer im Trockenen als auf dem Trockenen«, murmelte
der General. »Mit diesem Wortspiel habe ich Begeisterung erregt ... in
einer Offiziersgesellschaft ... im Jahre vierundvierzig ... Im Jahre
tausend ... achthundert ... vierundvierzig, ja ...! Ich entsinne mich
nicht ... Oh, erinnere mich nicht daran, erinnere mich nicht daran! ›Wo
ist meine Jugend, meine Frische!‹ wie jemand ausrief ... Wer hat das
doch ausgerufen, Kolja?«
»Das kommt bei Gogol in den ›Toten Seelen‹ vor, Papa«, antwortete Kolja und schielte ängstlich nach dem Vater hin.
»Tote Seelen! O ja, tote Seelen! Wenn du mich begraben läßt, dann
schreib auf mein Grab: ›Hier ruht eine tote Seele!‹ ›Der Schande kann
ich nicht entrinnen!‹
Wer hat das gesagt, Kolja?«
»Das weiß ich nicht, Papa.«
»Jeropegow soll nicht existiert haben? Jerofei Jeropegow ...!« rief
er ganz außer sich und blieb auf der Straße stehen. »Und das ist mein
Sohn, mein leiblicher Sohn! Jeropegow, ein Mann, der elf Monate lang
wie ein Bruder mit mir zusammen gelebt hat, für den ich ein Duell
gehabt habe ... Fürst Wygorjezki, unser Hauptmann, sagte zu ihm, als
wir bei der Flasche saßen: ›Du, Grischa, wo hast du denn deinen
Anna-Orden erworben? Das möchte ich wirklich wissen.‹ ›Auf den
Schlachtfeldern meines Vaterlandes, da habe ich ihn erworben!‹ Ich
rief: ›Bravo, Grischa!‹ Na, daraus entstand dann ein Duell. Und dann
heiratete er Marja Petrowna Su ... Sutugina und wurde auf dem
Schlachtfeld erschossen ... Die Kugel prallte von dem Kreuz ab, das ich
auf der Brust trug, und fuhr ihm gerade in die Stirn. ›Ich werde dich
in Ewigkeit nicht vergessen!‹ rief er und fiel tot nieder. Ich ... ich
habe mit Ehren gedient, Kolja; ich habe als anständiger Mann gedient;
aber ›der Schande kann ich nicht entrinnen!‹ Kommt ihr beide, du und
Nina, zu meinem Grab ... ›Arme Nina!‹ so habe ich sie früher genannt,
Kolja, es ist schon lange her, noch in der ersten Zeit, und sie hörte
das so gern ...! Nina, Nina! Was habe ich dir für ein Schicksal
bereitet! Wofür kannst du mich noch lieben, du geduldiges Herz? Deine
Mutter hat das Herz eines Engels, Kolja; hörst du wohl? Das Herz eines
Engels!«
»Das weiß ich, Papa. Papa, liebster Papa, lassen Sie uns nach Hause
zurückkehren, zu Mama! Sie ist uns ja nachgelaufen! Na, was stehen
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