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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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ihr das Billett hinreichte.
Aglaja blieb stehen, nahm das Billett und blickte den Fürsten seltsam
an. In ihrem Blick lag nicht die geringste Verlegenheit, nur ein
gewisses Erstaunen mochte daraus hervorschimmern, und auch dieses
Erstaunen schien sich nur auf den Fürsten zu beziehen. Aglaja forderte
durch ihren Blick von ihm gleichsam Rechenschaft darüber, wie es
zuginge, daß er in dieser Angelegenheit mit Ganja im Bunde sei; und sie
benahm sich dabei mit aller Ruhe und von oben herab. Zwei oder drei
Sekunden lang standen sie einander gegenüber; endlich zeigte sich auf
ihrem Gesicht eine schwache Nuance von Spott; sie lächelte leise und
ging vorüber.
    Die Generalin betrachtete eine Zeitlang schweigend und mit einem
leisen Ausdruck von Geringschätzung Nastasja Filippownas Bild, das sie
mit ausgestrecktem Arm sehr weit von den Augen hielt.
    »Ja, schön ist sie«, sagte sie endlich, »sogar sehr schön. Ich habe
sie zweimal gesehen, aber nur von weitem. Also eine solche Schönheit
bewundern Sie?« wandte sie sich plötzlich an den Fürsten.
    »Eine solche ... ja ...«, antwortete der Fürst mit einiger Überwindung.
    »Gerade eine solche?«
    »Ja.«
    »Warum denn?«
    »In diesem Gesicht ... liegt so viel Leid ...«, sagte der Fürst; es
schien, als kämen diese Worte unwillkürlich aus seinem Mund, und als
antwortete er nicht auf die Frage, sondern spräche für sich.
    »Das ist übrigens vielleicht nur eine Phantasie von Ihnen«, bemerkte
die Generalin kurz und warf mit einer hochmütigen Gebärde das Bild von
sich weg auf den Tisch.
    Alexandra nahm es in die Höhe, Adelaida trat zu ihr, und beide begannen es zu betrachten.
    In diesem Augenblick kehrte Aglaja wieder in den Salon zurück.
    »Das ist eine gewaltige Macht!« rief auf einmal Adelaida, die über
die Schulter ihrer Schwester hinweg das Bild mit größtem Interesse
ansah.
    »Wieso? Inwiefern eine Macht?« fragte Lisaweta Prokofjewna in scharfem Ton.
    »Eine solche Schönheit ist eine Macht«, erwiderte Adelaida
enthusiastisch. »Mit einer solchen Schönheit kann man die Welt
umdrehen!«
    In ihre Gedanken versunken ging sie zu ihrer Staffelei. Aglaja sah
das Bild nur flüchtig an, kniff die Augen zusammen, schob die
Unterlippe vor, ging zur Seite und setzte sich da mit zusammengelegten
Händen hin.
    Die Generalin klingelte.
    »Rufe Gawrila Ardalionowitsch her; er ist im Arbeitszimmer«, befahl sie dem eintretenden Diener.
    »Aber Mama!« rief Alexandra mit bedeutsamer Betonung.
    »Ich will ihm nur wenige Worte sagen, und damit basta!« erklärte die
Generalin schnell in bestimmtem, scharfem Ton, der jede Widerrede
abschnitt.
    Sie befand sich offenbar in gereizter Stimmung.
    »Sehen Sie, Fürst, bei uns hier gibt es jetzt lauter Geheimnisse,
lauter Geheimnisse! Die Etikette verlangt das, obwohl es eine Dummheit
ist. Und noch dazu bei einer Sache, bei der die größte Offenheit,
Klarheit und Ehrlichkeit erforderlich ist. Es sind Eheschließungen im
Werke; aber diese Ehen wollen mir gar nicht gefallen ...«
    »Mama, was reden Sie da?« unterbrach Alexandra sie wieder eilig, um sie von weiteren Äußerungen zurückzuhalten.
    »Was willst du, liebe Tochter? Gefallen sie denn dir selbst? Daß der
Fürst dabei zuhört, tut nichts; wir sind ja Freunde. Ich und er
wenigstens. Es heißt: ›Gott sucht sich Menschen‹ 1 ,
aber natürlich gute Menschen; schlechte und launische kann er nicht
gebrauchen, die sich heute so entscheiden und morgen wieder anders
reden. Verstehen Sie wohl, Alexandra Iwanowna? Meine Töchter sagen,
Fürst, ich sei wunderlich; aber ich habe ein klares, gesundes Urteil.
Denn das Herz ist die Hauptsache, und alles übrige ist dummes Zeug.
Verstand ist freilich auch nötig, gewiß ... vielleicht ist der Verstand
sogar die allergrößte Hauptsache. Lache nicht, Aglaja; ich widerspreche
mir nicht: ein Weib mit Herz ohne Verstand ist ebenso unglücklich wie
ein Weib mit Verstand ohne Herz. Das ist eine alte Wahrheit. Ich bin
ein Weib mit Herz ohne Verstand und du eines mit Verstand ohne Herz;
wir sind beide unglücklich und müssen beide viel leiden.«
    »Inwiefern sind Sie denn so unglücklich, Mama?« konnte Adelaida sich
nicht enthalten zu fragen; sie war anscheinend von der ganzen
Gesellschaft die einzige, die ihre heitere Stimmung nicht verloren
hatte.
    »Erstens weil ich so gelehrte Töchter habe«, trumpfte die Generalin
sie auf. »Und da dies eine schon ganz hinreichend ist, so brauche ich
das übrige nicht erst lange aufzuzählen. Aber

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