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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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dienstliche Laufbahn begann. Ich muß nur
noch unterwegs zu einem Haus gehen, in dem meine Seele schon seit
mehreren Jahren ihre Erholung findet von all der Unruhe und den
schweren Prüfungen, die ...«
    »Sie wollen erst noch nach Hause gehen?«
    »Nein, ich will ... zu der Frau Hauptmann Terentjewa, der Witwe des
Hauptmanns Terentjew, meines früheren Untergebenen, ja Freundes ...
Hier, bei der Frau Hauptmann, lebe ich seelisch wieder auf; hierher
trage ich all das Leid, das das Leben und meine Familie mir bereiten
... Und da gerade heute ein schwerer Druck auf meiner Seele lastet, so
möchte ich ...«
    »Ich glaube«, murmelte der Fürst, »ich habe so schon eine große
Torheit begangen, als ich Sie vorhin mit meiner Bitte belästigte. Und
außerdem wollen Sie ja jetzt ... Adieu!«
    »Aber ich darf Sie jetzt nicht weggehen lassen, mein junger Freund;
das darf ich nicht!« rief der General. »Sie ist eine Witwe, eine
Familienmutter und vermag in ihrem Herzen Saiten erklingen zu lassen,
die in meinem ganzen Wesen ihren Widerhall finden. Der Besuch bei ihr
wird nur fünf Minuten dauern; in diesem Haus verkehre ich ganz
ungeniert; ich wohne da fast. Ich will mich da waschen und die nötigste
Toilette machen, und dann fahren wir in einer Droschke nach dem Großen
Theater. Seien Sie überzeugt, daß ich Ihrer den ganzen Abend über
bedarf ... Hier in diesem Haus ist es; wir sind schon da ... Ah, Kolja,
du bist schon hier? Nun, ist Marfa Borisowna zu Hause, oder bist du
selbst eben erst gekommen?«
    »O nein«, antwortete Kolja, der unerwartet mit ihnen in der Haustür
zusammengestoßen war, »ich bin schon eine ganze Weile hier bei Ippolit;
es geht ihm schlechter; er hat sich heute vormittag hinlegen müssen.
Ich habe jetzt eben ein Spiel Karten vom Kaufmann geholt. Marfa
Borisowna erwartet Sie. Aber, Papa, in welchem Zustand sind Sie!«
schloß Kolja, indem er den Gang und die Haltung des Generals scharf
musterte. »Nun, dann wollen wir hinaufgehen!«
    Die Begegnung mit Kolja bewog den Fürsten, den General auch noch zu
Marfa Borisowna zu begleiten, aber nur auf eine Minute. Der Fürst
brauchte Kolja; von dem General wollte er sich unter allen Umständen
losmachen, und er konnte es sich nicht verzeihen, daß er vorhin den
Einfall gehabt hatte, auf diesen Menschen irgendwelche Hoffnungen zu
setzen. Auf der Hintertreppe stiegen sie zum vierten Stock hinauf, was
ziemlich lange dauerte.
    »Wollen Sie den Fürsten dort einführen?« fragte Kolja unterwegs.
    »Ja, mein Sohn, das will ich: General Iwolgin und Fürst Myschkin. Aber wie ist Marfa Borisownas Befinden ... und Stimmung ...?«
    »Wissen Sie, Papa, es wäre am besten, wenn Sie nicht zu ihr gingen!
Sie ist wütend auf Sie! Sie haben sich seit drei Tagen nicht blicken
lassen, und sie wartet auf Geld. Warum haben Sie ihr Geld versprochen?
So machen Sie es immer! Nun müssen Sie sehen, wie Sie mit ihr fertig
werden.«
    Im vierten Stock blieben sie vor einer niedrigen Tür stehen. Der
General war augenscheinlich ängstlich geworden und schob den Fürsten
vor.
    »Ich werde hier stehenbleiben«, murmelte er. »Ich möchte sie überraschen ...«
    Kolja ging zuerst hinein. Eine stark geschminkte, etwa
vierzigjährige Dame, in Pantoffeln und Hausjacke, die Haare in kleine
Zöpfe geflochten, sah aus der Tür, und die vom General geplante
Überraschung fiel sofort ins Wasser. Kaum hatte ihn die Dame erblickt,
als sie schrie:
    »Da ist er ja, der gemeine, schändliche Mensch! Das hatte ich doch geahnt!«
    »Kommen Sie nur mit herein; sie scherzt nur!« flüsterte der General, immer noch harmlos lächelnd, dem Fürsten zu.
    Aber es war kein Scherz gewesen. Kaum waren sie durch ein dunkles,
niedriges Vorzimmer in den engen, mit sechs Rohrstühlen und zwei
Spieltischen möblierten Salon getreten, als die Dame sofort mit
gekünstelter, weinerlich klingender, ordinärer Stimme fortfuhr:
    »Schämst du dich denn gar nicht, du Barbar, du Tyrann meiner
Familie, du Barbar und Unmensch? Ganz ausgeplündert hat er mich; alles
hat er mir abgepreßt, und damit ist er noch nicht zufrieden! Wie lange
soll ich das noch von dir ertragen, du schamloser, ehrloser Mensch?«
    »Marfa Borisowna, Marfa Borisowna! Das ist hier Fürst Myschkin.
General Iwolgin und Fürst Myschkin«, murmelte der General zitternd und
fassungslos.
    »Können Sie es glauben«, wandte sich die Frau Hauptmann plötzlich an
den Fürsten, »können Sie es glauben, daß dieser schamlose Mensch nicht
einmal mit meinen vaterlosen

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