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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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freilich ... es ist ein Feiertag, und da hat sich der Portier
absentiert. Sie haben diesen Trunkenbold immer noch nicht weggejagt.
Dieser Sokolowitsch verdankt das ganze Glück seines Lebens und seiner
Karriere mir, mir allein und sonst niemandem. Aber ... da sind wir
schon!«
    Der Fürst erhob keine Einwendungen mehr gegen den Besuch und folgte
dem General gehorsam, um ihn nicht zu reizen, in der festen Hoffnung,
daß General Sokolowitsch und seine ganze Familie allmählich wie eine
Luftspiegelung verschwinden und sich als nicht existierend erweisen
würden, so daß sie dann ruhig die Treppe wieder hinuntersteigen
könnten. Aber zu seinem Schrecken mußte er diese Hoffnung aufgeben: der
General führte ihn die Treppe hinauf wie jemand, der da wirklich
Bekannte hatte, und schaltete alle Augenblicke detaillierte Bemerkungen
biographischen und topographischen Inhalts ein, die den Eindruck
mathematischer Genauigkeit machten. Als sie endlich in der Beletage
angelangt waren und rechts vor der Eingangstür einer prächtigen Wohnung
haltmachten und der General nach dem Griff der Klingel faßte, da
beschloß der Fürst, davonzulaufen; aber ein sonderbarer Umstand hielt
ihn noch einen Augenblick zurück. »Sie haben sich geirrt, General«,
sagte er; »hier an der Tür steht der Name Kulakow, und Sie wollten doch
bei Sokolowitsch klingeln.«
    »Kulakow ... Kulakow beweist nichts. Das ist Sokolowitschs Wohnung,
und ich klingle bei Sokolowitsch. Ich schere mich den Teufel um Kulakow
... Da wird schon geöffnet.«
    Die Tür öffnete sich wirklich. Ein Diener schaute heraus und meldete, die Herrschaften seien nicht zu Hause.
    »Wie schade, wie schade! Daß wir es so schlecht getroffen haben!«
wiederholte Ardalion Alexandrowitsch mehrere Male hintereinander mit
dem Ausdruck tiefsten Bedauerns. »Bestellen Sie, lieber Freund, daß
General Iwolgin und Fürst Myschkin gewünscht hätten, den Herrschaften
ihre besondere Hochachtung zu bezeigen und außerordentlich,
außerordentlich bedauert hätten ...«
    In diesem Augenblick schaute aus einem der Zimmer durch die
geöffnete Eingangstür noch ein anderes Gesicht heraus, anscheinend das
Gesicht einer Wirtschafterin oder vielleicht auch Gouvernante, einer
etwa vierzigjährigen Dame in einem dunklen Kleid. Als sie die Namen des
Generals Iwolgin und des Fürsten Myschkin hörte, näherte sie sich
neugierig und mißtrauisch.
    »Marja Alexandrowna ist nicht zu Hause«, sagte sie, indem sie
besonders den General scharf ansah; »sie ist mit dem gnädigen Fräulein
Alexandra Michailowna zur Großmutter gefahren.«
    »Auch Alexandra Michailowna ist mit ihr aus! O Gott, wie
bedauerlich! Und denken Sie sich nur, Madame, solch Mißgeschick habe
ich immer! Ich bitte Sie ganz ergebenst, meine Empfehlung auszurichten
und an Alexandra Michailowna zu bestellen, sie möchte sich erinnern ...
mit einem Wort, sagen Sie ihr, ich wünschte ihr von Herzen das, was sie
selbst sich am Donnerstagabend bei den Klängen des Chopinschen Liedes
gewünscht habe; sie wird sich schon erinnern ... Das sei mir ein
Herzenswunsch! General Iwolgin und Fürst Myschkin!«
    »Ich werde es nicht vergessen«, versetzte, den Abschiedsgruß
erwidernd, die Dame, die etwas mehr Vertrauen zu den Besuchern gewonnen
hatte.
    Während sie die Treppe hinunterstiegen, bedauerte der General immer
noch in derselben affektvollen Weise, daß sie die Herrschaften nicht
angetroffen hätten und daß dem Fürsten eine so entzückende
Bekanntschaft entgangen sei.
    »Wissen Sie, mein Lieber, es liegt eine gewisse gefühlvolle
Schwärmerei in meinem Wesen; haben Sie das wohl schon bemerkt? Übrigens
... übrigens scheint mir, daß wir an eine falsche Stelle gekommen
sind«, schloß er auf einmal ganz unerwartet. »Jetzt erinnere ich mich:
Sokolowitschs wohnen in einem andern Haus und, wenn mir recht ist,
jetzt sogar in Moskau. Ja, ich habe mich ein bißchen geirrt; aber ...
das tut nichts.«
    »Ich möchte nur eines wissen«, bemerkte der Fürst niedergeschlagen,
»ist es nicht das beste, wenn ich auf Ihre Beihilfe ganz verzichte und
lieber allein hingehe?«
    »Verzichten? Allein hingehen? Aber wieso denn, da das doch für mich
ein äußerst wichtiger Schritt ist, von dem so viel in dem Schicksal
meiner ganzen Familie abhängt? Aber da kennen Sie Iwolgin schlecht,
mein junger Freund! Wer ›Iwolgin‹ sagt, der sagt ›Mauer‹. ›Auf Iwolgin
kann man sich wie auf eine Mauer verlassen‹, so hieß es schon in der
Schwadron, in der ich meine

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