Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
scheren.
Kendrick ahnte jedoch nichts, und hätte er es getan, hätte das auch nichts geändert; man konnte den Fortschritt von Inver Brass nicht in Abrede stellen.
Halb sieben an einem Montagmorgen. Die Sonne erkletterte eben die Hügel von Virginia, als Kendrick nackt in seinen Pool sprang. Er vertraute darauf, daß zehn oder zwanzig Längen im oktoberlich kalten Wasser die Spinnweben wegwaschen würden, die vor seinen Augen hingen und sich schmerzhaft in seinen Schläfen eingenistet hatten. Zehn Stunden vorher hatte er in Colorado mit Emmanuel Weingrass, in einem geradezu lächerlich üppig ausgestatteten Pavillon sitzend, viel zu viele Brandys getrunken und sich mit dem Freund köstlich über die beiden Flüßchen amüsiert, die man unter dem durchsichtigen Fußboden vorbeirauschen sah.
»Bald kriegst du auch Wale zu sehen«, hatte Manny behauptet.
»Wie du das seinerzeit den Kindern in dem halb ausgetrockneten Flußbett in – ich weiß nicht mehr, wo – weisgemacht hast.«
»Wir hatten miserable Köder. Ich hätte eine von den Müttern nehmen sollen. Die junge Schwarze. Sie war hinreißend.«
»Ihr Mann war Major, ein großer Major bei den Heerespionieren. Er hätte vielleicht etwas dagegen gehabt.«
»Ihre Tochter war ein bildschönes Kind... Sie kam mit allen anderen ums Leben.«
»Mein Gott, Manny! Warum?«
»Es wird Zeit für dich, du mußt gehen.«
»Ich will aber nicht.«
»Du mußt. Du hast morgen früh eine Sitzung, und bis zum Morgen ist es nicht mehr weit.«
»Ich kann schwänzen. Das hab’ ich schon mal getan.«
»Einmal, und ich habe mir große Vorwürfe gemacht. Dein Jet wartet auf dem Flugplatz in Mesa Verde. In ein paar Stunden bist du in Washington.«
Während er schwamm, eine Länge immer schneller als die vorhergehende, dachte er an die bevorstehende Morgenkonferenz von Oversight und war froh, daß Manny so auf seine Rückkehr in die Hauptstadt gedrängt hatte. Die Sitzungen des Unterausschusses faszinierten ihn, ärgerten ihn, weckten abwechselnd Staunen und Entsetzen in ihm; aber vor allem faszinierten sie ihn. So vieles, von dem er nichts wußte, geschah in der Welt zum Nutzen und zum Schaden der Vereinigten Staaten. Doch erst bei der dritten Sitzung begriff er einen immer wiederkehrenden Fehler, den seine Kollegen in der Behandlung der Zeugen verschiedener Geheimdienstzweige machten. Sie konzentrierten sich darauf, in den Erklärungen der Zeugen, warum sie diese oder jene Operation durchgeführt hatten, auf Lücken oder Widersprüche zu stoßen; wichtig und richtig wäre es indessen gewesen, die Zeugen zu diesen Operationen selbst zu verhören.
Das war verständlich, denn die Männer, die vor Oversight antreten mußten, um ihre Fälle zu erörtern – es waren ausschließlich Männer, und das an sich hätte ein Hinweis sein müssen -, waren wortgewandte Profis aus einer gewalttätigen Welt, die das Melodramatische dieser Welt herunterspielten. Sie trugen ihren esoterischen Jargon mit großer Ruhe vor, bis ihre Zuhörer glaubten, ihnen müsse der Schädel platzen. Es gab
unter diesen Zeugen keinen Oberst Robert Barrish; es war eine Reihe attraktiver, gutgekleideter, bescheidener und zurückhaltender Männer, die vor dem Unterausschuß erschienen, um mit kühlen, professionellen Worten zu erklären, was sie tun könnten, wenn man ihnen die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellte, und warum das, was sie tun wollten, für die nationale Sicherheit von größter Bedeutung war. Die Frage, die man ihnen daraufhin stellte, lautete meistens: »Können Sie es schaffen?« Niemand fragte jedoch, ob das, was sie tun wollten, richtig oder sinnvoll war.
Solche Fehler in der Beurteilung kamen oft genug vor, um Kendrick zu beunruhigen, der ja erst seit kurzem zu jener gewalttätigen Welt dieser Männer gehörte. Es gelang ihm nicht, sie in einem romantischen Licht zu sehen, er verabscheute sie. Die schreckliche, atembeklemmende Angst, die ein Teil des furchteinflößenden Spiels mit dem menschlichen Leben war, gehörte in ein finsteres Zeitalter, in dem das Leben selbst nur am Über leben gemessen wurde. In einer solchen Welt lebte man nicht; man erlitt sie schweißgebadet und mit einem hohlen Schmerz im Magen – wie Kendrick während seines kurzen Gastauftritts in Oman und Bahrein. Er wußte jedoch, daß diese Welt weiterexistierte; einige ihrer Bewohner hatten ihn vor den Haien in Katar bewahrt. Trotzdem ging er in den folgenden Sitzungen gründlicher vor, stellte
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