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Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan

Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan

Titel: Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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sollten sie teuer dafür bezahlen – qualvoll bezahlen. Egal ob irregeleitete Jugend oder Alter, sie würden die furchtbarsten Schmerzen erleiden, die menschliche Phantasie sich ausdenken konnte. Er zielte mit der Waffe auf den Unterleib des älteren Terroristen, feuerte zwei Kugeln auf ihn ab, zielte dann in gleicher Höhe auf den jüngeren und schoß einmal. Sogar das leise Plopp ging im Aufheulen einer Windbö verloren. Der Junge ging laut schreiend zu Boden, krümmte sich, bäumte sich auf... Aber der Ältere war aus stärkerem – aus einem viel stärkeren Stoff gemacht. Taumelnd richtete er sich auf, wandte sich in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren, stürmte vorwärts, wild und mordlustig wie ein verwundeter Bär.
    »Komm nicht näher, Yosef!« schrie Weingrass, der sich, zu Tode erschöpft, an einem Baum festhalten mußte. »Ich will dich nicht töten, aber ich werde es tun. Dich, der du einen hebräischen Namen trägst und Juden tötest!«
    »Meine Mutter«, schrie der Araber, »hat sich von euch allen losgesagt! Ihr seid die Mörder meines Volkes! Ihr nehmt alles, was uns gehört, und spuckt uns an! Ich bin Halbjude, aber wer sind denn die Juden, daß sie sich anmaßen durften, meinen
Vater zu ermorden und meiner Mutter den Kopf kahlzuscheren, nur weil sie einen Araber liebte? Du fährst jetzt mit mir zur Hölle!«
    Weingrass hielt sich am Baumstamm fest, seine Fingernägel bluteten, sein langer schwarzer Mantel blähte sich im Wind. Die dunkle Gestalt seines Widersachers tauchte aus dem Walddunkel auf, riesige Hände umklammerten den Hals des alten Mannes.
    »Laß das!« schrie Weingrass, wußte jedoch zugleich, daß ihm keine andere Wahl blieb. Er feuerte die letzte Kugel ab. Sie drang in die faltige Stirn über ihm, Yosef ließ ihn los, taumelte, fiel, seine letzte Bewegung eine Geste des Trotzes. Zitternd und nach Atem ringend, lehnte Weingrass am Baumstamm, starrte zu Boden, auf die Leiche eines Mannes, der sein Leben lang unter einer ganz unwichtigen territorialen Regelung gelitten hatte, die Menschen zwang, sich gegenseitig zu töten. In diesem Augenblick kam Emmanuel Weingrass zu einer Erkenntnis, nach der er gesucht hatte, seit er denken konnte; jetzt wußte er die Antwort. Die Arroganz blinden Glaubens führte zu aller Verlogenheit menschlichen Denkens. Sie spielte Menschen bösartig gegeneinander aus in dem Streben nach dem letzten Wissen jenseits aller menschlichen Erkenntnis. Wer hatte das Recht dazu?
    »Yosef – Yosef!« schrie der Junge, der sich am Straßenrand im Unterholz wälzte. »Wo bist du, Yosef! Ich bin verwundet! Verwundet!«
    Das Kind ist ahnungslos, dachte Weingrass. Von da, wo der verwundete Junge sich auf dem Boden wälzte und krümmte, hatte er nicht sehen können, was vorgefallen war, und der schallgedämpfte Schuß war im Heulen des Bergwinds völlig untergegangen. Der junge Terrorist wußte nicht, daß sein Kamerad Yosef tot war, daß nur er überlebt hatte. Und daß er weiterhin überlebte, war für Weingrass jetzt am allerwichtigsten. Da gab es Fakten, die sie wissen mußten, Fakten, die Evan Kendrick das Leben retten konnten. Besonders jetzt.
    Weingrass schob die blutenden Finger in die Manteltasche und ließ die Pistole mit dem Schalldämpfer fallen. Er nahm seine letzte Kraft zusammen, stieß sich vom Baum ab und ging, so schnell er konnte, durch den Wald nach Süden, stolperte und stolperte immer wieder, stieß mit den schwachen Armen die Zweige beiseite, bog zur Straße ab, erreichte den Straßenrand
und sah dann in einiger Entfernung die in der Dämmerung immer undeutlicher werdenden Umrisse des Wagens der Terroristen. Er war weit genug gegangen, machte kehrt und ging die Straße entlang zurück – schneller – schneller... Beweg’ deine verdammten dürren Beine! Der Junge darf sich nicht von der Stelle rühren, er darf nicht herumkriechen, darf den Toten nicht sehen! Das Blut pochte und rauschte Weingrass in den Ohren, das Hämmern unter seinen Rippen schien ihm die Brust zu sprengen. Da war der junge Araber. Er hatte sich bewegt – bewegte sich, kroch auf den Wald zu. In wenigen Augenblicken mußte er seinen toten Gefährten sehen. Das mußte verhindert werden. Um jeden Preis.
    »Aman!« rief Weingrass außer Atem – so hatte der Halbjude Yosef den Jungen genannt. » Aina anta? Kaif el-ahwal?« - wo bist du? und wie geht es dir? – fuhr er auf arabisch fort. »It kallam!« - antworte! – schrie er gegen den Wind an.
    »Hier! Hier bin ich!«

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