Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
konnte. Doch er wußte, daß das nicht möglich war. Er durfte sich keine Ruhe gönnen, mußte bereit sein. Vor allem mußte er einen von den Kerlen lebendig in die Hände kriegen. Sie waren hinter seinem Sohn her...
Irgendwo weit weg hörte er Motorengeräusch – dann wurde es wieder still. Verwirrt schob er sich mit größter Vorsicht seitlich zwischen den Bäumen bis zum Waldrand vor und spähte hinaus. Auf der Straße von Mesa Verde näherte sich ein Wagen, rollte entweder im Leerlauf, oder der Wind war so stark, daß er den Motor übertönte. Nein, er rollte, denn man hörte die Reifen knirschen, als er ganz langsam den hohen Heckenzaun passierte und vor der ersten Toreinfahrt zum Stehen kam. Im Wagen saßen zwei Männer. Der Fahrer, untersetzt, nicht jung, aber kaum älter als vierzig, stieg als erster aus und sah sich um, erwartete offensichtlich ein Signal. Der Nachmittag war dunkel, die Sicht schlecht, er kniff die Augen zusammen und überquerte, als er niemanden sah, die Straße. Weingrass schob seine Pistole in den Gürtel und bückte sich nach der Waffe des zweiten Terroristen mit dem Schalldämpfer. Sie war zu groß, um in die Tasche gesteckt zu werden, also legte er sie wie der Araber vor
sich auf den Boden. Er verkroch sich tiefer in das wild wuchernde Gestrüpp und schaute ins Magazin. Es enthielt noch vier Kugeln. Der Mann kam näher, kam direkt auf Weingrass zu.
»Yosef!« Der zweite Mann war aus dem Wagen gestiegen und rannte stark hinkend die Straße entlang. Weingrass war verwirrt. Yosef war ein hebräischer Name, aber diese Killer waren keine Israelis.
»Sei still, Junge!«befal der Ältere schroff auf arabisch, als sein Gefährte keuchend bei ihm stehenblieb. »Wenn du noch einmal – egal wo – so schreist, schick’ ich dich in einem Sarg zurück.«
Weingrass beobachtete die beiden Männer, die etwa sechs Meter von ihm entfernt am Straßenrand standen. Er war zunächst erstaunt gewesen, doch jetzt verstand er, wieso der Ältere den anderen Junge genannt hatte. Er war sechzehn oder höchstens siebzehn, wenn nicht jünger.
»Du schickst mich nirgendwohin«, antwortete der Junge zornig, der wahrscheinlich wegen einer Hasenscharte so undeutlich sprach. »Dieses Schwein ist schuld daran, daß ich mein Leben lang hinken werde. Wäre er nicht gewesen, hätte ich zu einem großen Märtyrer unserer Sache werden können.«
»Schon gut, schon gut«, sagte der ältere Araber mit dem hebräischen Namen nicht ohne Mitleid. »Gieß dir kaltes Wasser in den Nacken, sonst platzt dir der Kopf. Also, was gibt’s?«
»Das amerikanische Radio! Ich habe eben zugehört, und ich verstehe genug, um zu verstehen.«
»Ist was mit unseren Leuten im anderen Haus?«
»Nein, nichts davon. Die Juden! Sie haben den alten Khouri hingerichtet. Haben ihn gehängt.«
»Hast du etwas anderes erwartet, Aman? Vor vierzig Jahren hat er noch mit den in Nordafrika zurückgebliebenen Nazis zusammengearbeitet. Er hat Juden getötet. Er hat einen Kibbuz und ein Hotel in Haifa in die Luft gejagt.«
»Dann müssen wir den Mörder Begin töten und alle anderen alten Männer von der Irgun und der Stern. Khouri war für uns ein Symbol der Größe...«
»Ach, sei doch still, Junge. Diese alten Männer haben die Briten mehr bekämpft als uns. Sie oder der alte Khouri haben nichts mit dem zu tun, was wir heute tun müssen. Wir müssen einem dreckigen Politiker, der sich für einen von uns ausgegeben
hat, eine Lektion erteilen. Er hat sich in unseren Kleidern versteckt, hat unsere Sprache mißbraucht und die Freundschaft verraten. Jetzt, Junge! Konzentrier’ dich auf das Jetzt!«
»Wo sind die anderen? Sie sollten uns doch auf der Straße erwarten.«
»Ich weiß nicht, wo sie sind. Vielleicht haben sie etwas gehört oder gesehen und sind schon im Haus. Jetzt wird das Licht eingeschaltet, man kann es durch die Sträucher sehen. Wir schleichen uns jetzt zu beiden Seiten der Zufahrt zum Haus und schauen durch die Fenster. Wahrscheinlich werden wir feststellen, daß unsere Kameraden mit den Leuten, denen sie hinterher die Kehle durchschneiden, gemütlich beim Kaffee sitzen.«
Emmanuel Weingrass hob die Pistole mit Schalldämpfer und legte sie an einen Baumstamm, um sicher zielen zu können. Er wollte die beiden lebendig. Yosefs Bemerkung über >das andere Haus< hatte ihn so erschreckt, daß er den beiden im ersten Zorn am liebsten die Köpfe zu Brei geschossen hätte. Sie wollten seinen Sohn töten. Wenn sie es schon getan hatten,
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