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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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seiner Reichweite und schrie wie wahnsinnig. Er würde nie aufhören. Sein Schreien würde noch eine Million Meilen weit zu hören sein, so weit ihre Radiogeräte reichten, und ihnen jedes Gespräch untereinander unmöglich machen.
    Hollis langte nach ihm. Es war die beste Lösung. Mit einer besonderen Anstrengung gelang es ihm, den Mann zu berühren. Er faßte ihn am Knöchel und zog sich an seinem Körper hoch, bis er seinen Kopf erreichte. Der Mann schrie und schlug wild um sich, gleich einem Ertrinkenden. Sein Schreien füllte das Universum.
    So oder so, dachte Hollis. Der Mond oder die Erde oder Meteore werden ihn töten – warum also nicht gleich?
    Mit seiner eisernen Faust schlug er die Glasmaske des Mannes ein. Das Schreien brach ab. Er stieß sich von dem Körper weg und ließ ihn auf seiner eigenen Bahn weiterwirbeln, fallen.
    Und fallend, stürzend, wirbelten Hollis und der Rest der Mannschaft in die endlose Tiefe des Schweigens.
    »Hollis, sind Sie noch da?«
    Hollis antwortete nicht, fühlte aber, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß.
    »Hier spricht wieder Applegate.«
    »Was gibt's, Applegate?«
    »Wir wollen uns unterhalten. Etwas anderes können wir ja doch nicht tun.«
    Der Kommandant schaltete sich ein: »Genug jetzt. Wir müssen über einen Ausweg aus unserer Lage beraten.«
    »Käpt'n, warum halten Sie nicht lieber den Mund«, fragte Applegate.
    »Was!«
    »Sie haben mich verstanden, Käpt'n. Spielen Sie sich nicht mit Ihrem Rang auf, inzwischen sind Sie zehntausend Meilen entfernt, wir wollen uns doch nichts vormachen. Wie Stimson sagte, ist es ein weiter Weg bis unten.«
    »Seien Sie vernünftig, Applegate!«
    »Ich bin's. Sie sehen sich der Meuterei eines einzelnen gegenüber. Verdammt noch mal, ich habe nicht das geringste zu verlieren. Ihr Schiff war ein schlechtes Schiff, und Sie waren ein schlechter Kommandant, und ich hoffe, daß nichts von Ihnen übrigbleibt, wenn Sie mit dem Mond zusammenstoßen.«
    »Ich befehle Ihnen zu schweigen!«
    »Nur weiter so, befehlen Sie mir's noch einmal.« Applegate lächelte über zehntausend Meilen hinweg. Der Kommandant schwieg. Applegate fuhr fort: »Wo waren wir stehengeblieben Hollis? Ach ja, ich erinnere mich. Ich hasse Sie auch. Doch das wissen Sie. Sie wußten es schon seit langer Zeit.«
    Hollis ballte machtlos die Fäuste.
    »Ich möchte Ihnen etwas erzählen«, sagte Applegate. »Möchte Sie glücklich machen. Ich war derjenige, der Sie vor fünf Jahren bei der Raumschiffahrtsgesellschaft angeschwärzt hat.«
    Ein Meteorit flitzte vorbei. Hollis blickte an sich hinunter, seine linke Hand war fort. Blut spritzte. Plötzlich war keine Luft mehr in seinem Anzug. Er hatte genug Luft in seiner Lunge, um mit der rechten Hand nach seinem linken Ellbogen greifen und einen Knopf drehen zu können, der einen Verschluß um das Gelenk auslöste und das Leck abdichtete. Es war so rasch geschehen, daß es ihn nicht einmal überrascht hatte. Nichts konnte ihn mehr überraschen. Nachdem das Leck abgedichtet war, wurde der Luftdruck in seinem Anzug augenblicklich wieder normal. Und das Blut, das so rasch geflossen war, versiegte, während er den Knopf weiterdrehte, bis die Schlagader abgebunden war.
    Alle diese Handgriffe verrichtete er in unheimlichem Schweigen. Und die anderen Männer schwatzten. Der eine, Lespere, erzählte unaufhörlich von seiner Frau auf dem Mars, seiner Frau auf der Venus, seiner Frau auf dem Jupiter, seinem Geld, seiner wunderbaren Vergangenheit, seinen Saufereien, seinen Wetten und von seinem Glück. Wieder und wieder, während sie alle fielen.
     
    Es war so seltsam, so grotesk. Weltraum, Tausende von Meilen Weltraum, und in seiner Mitte diese hin und her schwingenden Stimmen. Man sah niemanden, nur die Radiowellen trugen ihre Botschaften von einem zum andern, versuchten, die Lebensgeister der Männer anzufeuern.
    »Sind Sie wütend, Hollis?«
    »Nein.« Er war nicht wütend. Die Geistesabwesenheit hatte ihn wieder erfaßt, und er war wie ein Stück gefühlloser Materie, das in alle Ewigkeit nirgendwohin fiel.
    »Ihr ganzes Leben lang wollten Sie immer nach oben gelangen, Hollis. Sie haben sich immer den Kopf zerbrochen, was eigentlich geschehen war. Ich habe Sie angeschwärzt, kurz bevor ich selbst rausgeschmissen wurde.«
    »Das ist nicht mehr wichtig«, sagte Hollis. Und es war auch unwichtig. Es war vorbei. Wenn das Leben zu Ende geht, zuckt es wie ein greller Film vorbei – ein Augenblick auf der Leinwand; alle seine Vorurteile

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